Montag, 7. August 2006

Sparen

Ich stehe auf der Sonnenalle im tiefsten Neukölln. Die Straße, die im einstigen Ostberlin endet, ist schon sehr osteuropäisch geprägt: Marktstände, Frauen mit Kopftüchern, Männer, die trotz des frischen Tages auf Stühlen vor dem Haus sitzen, Kaffee oder Tee trinken, die politische Lage diskutieren. An den Häusern viele in der Aufmachung billige Ladenschilder von McGeiz und wie sie alle heißen, oder auf Türkisch ohne Übersetzung. Einer der Ramschläden hat als Unterzeile: "Viel kaufen, viel sparen". Mein Blick fällt auf den Straßenbelag neben dem Haus. Ich fange an zu zählen. Sieben unterschiedliche Arten von Pflaster, Steinen und Platten, Asphalt, Bitumen und Macadam. Dazwischen große Löcher. Auch hier wurde kräftig gespart.

Sparen scheint das geheime "Wort des Jahres" zu sein, nicht nur in Neukölln. Drei Nachrichtenmeldungen: Bund und Länder sparen an Kulturausgaben, die ja nur freiwillige Leistungen sind, denen also kein Rechtsanspruch zugrunde liegt. VW würde 1,5 Milliarden Euro im Jahr sparen, wenn die Arbeitskosten in den Fabriken Deutschlands so niedrig wären wie in den französischen. Und die Hochschulen sparen Geld durch KW-Vermerke auf Stellenplänen in der Lehre.

KW-Vermerk – „kann wegfallen“. Die Professur in der Geisteswissenschaft kann wegfallen – dass das nicht nur zunehmende geistige Verarmung bedeutet, sondern auch die Karrierepläne von Nachwuchswissenschaftlern zerstört, ist keines Nebensatzes wert. Da hat sich jemand 12 Jahre lang von Zeitvertrag zu Zeitvertrag gehangelt, zu Facharbeitereinkommen halbierte oder gedrittelte Stellen innegehabt und Studenten ausgebildet, Nachwuchs geprägt, Wissenschaft betrieben. Nun: KW, auch das kann wegfallen. Sparen wir uns Wissen und Erfahrungen dieser Jungen, die zu alt sind für eine "Juniorprofessur", die wir uns demnächst auch sparen. Wir sparen uns auch das Wissen der späteren Jahre: 70 % der 60jährigen sind nicht mehr im Beruf, da können Unternehmen richtig sparen. Die fehlenden Renditen dieser Art von Kapital, nämlich dem geistigen, berechnet niemand.

Arbeitnehmer, also Menschen, werden auf „Kostenfaktoren“ miteinander konkurrierender „Standorte“ zusammengeschrumpft. Die dann perfide den Konsum verweigern und die Reproduktion der Spezies. Nicht nur bei Volkswagen überlegt jetzt der eine oder andere in Werkhalle oder Büro, ob sie oder er sich die neue Karre kauft - oder das Geld lieber spart.

Das Wort "sparen" hatte mal einen anderen Sinn. Sparen war was schönes, wir steckten das Geld ins Schweinderl, deponierten es vor dem Börsenboom auf dem Sparbuch und später im Aktienportefeuille. Am Ende hatten wir ein hübsches Sümmchen beisammen, mit dem wir dann in den Sommerurlaub fuhren, ein neues Sofa erwarben – oder eben besagtes Kraftfahrzeug. Auch Sprache kann durch Sparen ärmer werden.

Auf Neusprech kommt "sparen" praktisch nur noch in der semantischen Begriffsverengung vor, die der Präfix "ein-" mit sich bringt, "ein-sparen", also wenn im Grunde "kürzen“, "streichen“, "mit dem Rotstift drübergehen“ gemeint ist.

Was aber, wenn man in der Kultur zu viel spart? Zurück zum Volkswagenwerk, diesmal in den östlichen Teil des Landes, nach Westsachsen. Dort, so wurde mir vor Ort glaubhaft versichert, sei die werte Gattin des managenden Chefs in die westliche Heimat zurückgekehrt, weil es in der westsächsischen Provinz zu wenig Kulturangebote gibt. Volkswagen hätte sicher gern das Trennungsgeld gespart, das der Manager jetzt bekommt.
Volkswagen – das klingt genauso alt und unzeitgemäß wie Volkswirtschaft. Also sparen wir, damit dem Volk noch ein wenig Wirtschaft übrigbleibt? Oder glauben Sie etwa, „Bausparen“ heißt „Bausparen“, weil man sich das Bauen sparen will?

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