Sonntag, 20. August 2006

Sonntagsabenteuer im Park

Heute werde ich mal persönlich und gehe damit auf wiederholt gestellte Bitten ein.

Sonntagnachmittag im Görlitzer Park in Kreuzberg 36 - das ist das große Promenieren, Sehen und Gesehenwerden, Kinderspiel und Picknick. Am Tag vor Schulbeginn (ja, morgen geht's in Berlin wieder los) toben sich hier etliche Kinder nochmal richtig aus. Es ist warm, nicht zu warm. Der Himmel ist bedeckt.

Nach einem Picknick mit Freunden, bei dem ich kurz vorbeigeschaut habe, trete ich um fünf Uhr die Rückfahrt an, um sieben will ich ins Kino, dazwischen noch eine Stunde arbeiten. Am Parkausgang radele ich an zwei Steppkes vorbei und höre den Satzteil "hier warten, bis die Mama wiederkommt." Das war komisch, ich mache sofort kehrt.

Batuhan (5 Jahre) und Orgun (2 1/2) stehen mit Fahr- und Laufrad am Ausgang des Stadtparks, ihre dunklen Knopfaugen wirken riesig. Ich stelle mich vor, frage, ob ich Gesellschaft leisten darf. Ja, ich darf. Die Mama sei weg, schon länger, als eine Sendung vom Sandmännchen dauere.

Wir schauen kurz vor dem Park auf die Straße, ob die Mama nicht dort ist, Orgun bremst prima sein Laufrad, als es leicht bergab in Richtung Straße geht, Batuhan wacht auch darüber. Dann gehen wir wieder rein und überlegen lange. Nach einer Viertelstunde meinen sie, Mama Assia das letzte Mal im Kinderbauernhof gesehen zu haben, und der ist 15 Meter weiter östlich. Der Weg dort ist auch besser einsehbar als die Stelle hier hinter dem Gebüsch, wir ziehen also um. Eine türkische Familie auf der Wiese kennt die Jungs nicht, andere Passanten haben sie auch noch nicht gesehen. Die Knaben haben beide sehr fein geschnittene, hübsche Gesichter, tragen Fahrradhelme, T-Shirts und kurze Hosen. Ich seh mich mit ihnen schon auf der Polizei, höre im Geiste einen bräsig berlinernen Bullen: "Ja, wat solln wa denn mit die hier, junge Frau!?" - und die Kids, der Kleine wird gerade müde, in mein Gästezimmer einquartieren.

Wo ist die Mutter nur? Was ist los? Ist das schon mal passiert? Die Kleinen wissen gar nichts. Die Mitarbeiter des Kinderbauernhofs (hier gibt es Schweinchen, Hühner, Esel, ein Pony, Ziegen) haben die Kinder immerhin mit ihrer Mutter Stunden zuvor gesehen ("sie ist Ende 20, mehr wissen wir nicht"). Sie schreiben meine Handynummer auf. Inzwischen ist es viertel vor sechs, der Kinderbauernhof macht gleich zu. Der Himmel zieht langsam zu.

Die ganze Zeit über sind Batuhan und Orgun unglaublich tapfer. Sie toben mit den anderen Kindern, spielen Frisbee, der Große hat den Kleinen immer im Blick. Orgun kommt mit seinen noch nicht drei Jahren immer wieder angelaufen, holt sich eine Portion Nähe, läßt sich in den Arm nehmen, erzählt was und rennt wieder davon. Zwischendurch spielen sie Wettrennen, meine Begeisterung ist ihnen wichtig. Außenstehende würden gar nicht auf die Idee kommen, dass wir uns erst so kurz kennen. Ich stehe auf dem höhergelegenen Weg und überblicke das Gelände. Keine Suchenden zu sehen.

Es ist sechs. Wind kommt auf. Bedrohlich schwarze Wolken schieben sich plötzlich in den Horizont. Ich renne in die Senke der Wiese, um 'meine' Jungs einzusammeln. Batuhan hatte mir gesagt, er kenne den Nachhauseweg. Los mit uns, bevor das Gewitter losbricht. Doch es geht viel schneller, als erwartet. Wir kommen nur bis zur nächsten Straßenecke und fliehen in ein Zeitungsgeschäft. Es schüttet, blitzt und donnert. Das Gewitter ist direkt über uns.

Die jungen Männer halten sich weiter mustergültig. Sie schielen in die Süßwarenregale. Ich argumentiere, dass es was Süßes geben könne, aber nicht nur. "Haben Sie was Salziges?" Es ist schließlich Abendbrotzeit. Aber außer YumYum, chinesischer Nudelsuppe, gibt es nur noch in Plastik eingeschweißte Würstchen, das ist weder für meine kleinen Moslems, noch für mich Vegetarierin was. Also trockene Nudeln, die unter Kindern als Snack gelten, ich kenne das schon. Mit uns im Laden ein im Leibesumfang vom Gerstensaft stark gezeichneter Mann und einige friedliche Penner. Sie reden so manchen Kram, ich gehe mit den Knaben an die Tür und flüstere ihnen zu: "Es gibt Menschen, die trinken zu viel Alkohol, dann wissen sie nicht mehr, was sie sagen."

Alles ist friedlich, ich wundere mich sehr über diese ausgeglichenen Engelchen. Der Papa sei gerade in der Türkei, plappert Batuhan, und morgen gehe auch der Kindergarten wieder los. In die Schule komme er erst nächstes Jahr. Ich freue mich über diese Kerle, die so wunderbar Deutsch sprechen und so natürlich sind. Dann schaut Orgun wieder mal etwas trauriger drein, ich darf ihn auf den Arm nehmen. Er legt den Kopf auf meine Schulter.

Nein, das sieht nicht nach einem kurzen Gewitter aus. Es ist viertel nach sechs, ich bestelle ein Taxi - und als es endlich, endlich kommt, bin ich plötzlich umringt von einer Nachbarin der Kinder und ihrer Tochter, die im Taxi mitkommen sollen, und dann stehen da plötzlich die aufgelöste Mutter der Kinder und Nachbarn und Freunde vor mir. Sie hatten den ganzen Park abgesucht und die Leute vom Bauernhof, die sie am Ende auch noch gefragt haben, hatten ihnen gesagt, dass wir auf dem Heimweg sind.

Die beiden Kinder erlebten das Ganze mit dem entspanntesten Gesichtsausdruck, den man sich denken kann. Orgun wirkte einfach nur noch müde, zu müde vielleicht für Tränen.

In den nächsten Wochen mehr, diese Familie interessiert mich.

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