Samstag, 12. August 2006

Konvergenztheorien

In unserer Straße wird gestrichen. Der Sockel eines Wohnhauses ist abgeklebt, als erstes sind die Graffitti dran, sie verschwinden unter weißer Fassadenfarbe. Der Maler in Aktion ist eigentlich "Kunstmaler" (1) und Grafiker. Er residiert seit einiger Zeit im Ladengeschäft auf der Ecke, das zuvor jahrelang leergestanden hatte. Denn der vom Hausbesitzer geforderte Mietzins war astronomisch hoch und hätte eigentlich nur von einer florierenden Kneipe gezahlt werden können. Dafür schienen aber die Räume nicht ausgelegt.

Dann kam das Quartiersmanagment. Inzwischen zahlt ein Künstler Nebenkosten und Versicherung - und streicht neu. Das Gebäude macht schon deshalb einen freundlicheren Eindruck, weil hinter der Schaufensterscheiber jetzt oft auch noch abends einer am Schreib- und Zeichentisch sitzt.

Während der Maler/Kunstmaler seine Farbtöpfe wegräumt, kommt es auf der Straße zu einem Gespräch unter Passanten. "Die Sache mit den Nebenkosten ist gar nicht schlecht", sagt ein Passant, der sich selbst "Kulturarbeiter" nennt. "Ich war lange in der Kulturwirtschaft tätig. Jetzt gibt es fast nur noch wirtschaftliche Argumente für oder gegen die Kultur. Mit dem Ergebnis, dass ich hier in der Kultur- und Jugendarbeit einen Ein-Euro-Job mache und zwar für fast die gleiche Tätigkeit, für die meine Freundin bei einem andren Träger als Sozialarbeiterin angestellt ist - zu normalem Gehalt natürlich. Irgendwann werden diese Jobs auch noch wegrationalisiert sein. Dann ist Kultur abseits vom Mainstream auf der einen Seite Staaatskultur und Touristenprogramm und auf der anderen Seite eine Existenzform auf niedrigster Stufe. Totengräber und Lyriker - und dabei ein minimales Auskommen haben. Das kennt man von früher aus der DDR."

Leider erfahre ich seinen Namen nicht. Auch nicht den seiner Freundin. Wir schauen weiter auf das Haus. Die Freundin sagt, sie komme auch aus "der Ehemaligen". Und sie vergleicht: "In Ost-Berlin kannten wir diesen Trend schon, nur besetzte man damals die Häuser, ging rein, ohne groß zu fragen. Das Leben in der Parallelwelt, in den berühmten Nischen, fühlt sich heute ähnlich an. Es geht oft darum, etwas zu organisieren, die richtigen Leute zu kennen und dem Menschen in der Behörde nicht das Falsche zu sagen. Früher bekam man (2) viele Baumaterialien nicht, heute muss man sie mangels Geld organisieren oder schauen, wer sie einem billiger besorgt. Nur eins ist verdammt nochmal anders: Heute reden alle fast nur noch über Geld, damals hatte man einfach, was man zum Auskommen brauchte. Und ins Theater zu gehen konnten sich alle leisten. Heute steht Campino als Mackie Messer in der Friedrichstraße und ein Herr Ackermann von der Deutschen Bank sponsert das ganze. Absurd!"

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Ein Weblog mit Fußnoten? Au weia! Aber weil ich mich hier vom Promovieren erhole, mir den Kick eines kurzen fertigen Textes hole, sei mir das verziehen. Wird nicht oft vorkommen, versprochen!

(1) Kurze Anmerkung zu den Malern. Das Wort "Kunstmaler" ist für mich typisch deutsch. Erst die Präsisierung, das Wort "Kunst", hebt den Maler vom Handwerksberuf ab, der für die Mehrheit der Bevölkerung der erste Wortsinn des Begriffs zu sein scheint. Auf Französisch ist es genau andersrum. "Le peintre" malt Bilder, das längere "peintre en bâtiment" bezeichnet denjenigen, der Fassaden und Zimmer anstreicht.

(2) Auch heute noch verwenden viele Leute aus dem Osten das Wörtchen "man", wenn sie "wir" oder "ich" meinen. Das Ich und das Kollektiv ...

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