Sonntag, 29. Oktober 2006

Brot und Reiterspiele

Frankreich gilt als Land von Wein und Käse, Deutschland als Land der vielen Bier- und Brotsorten. Indes: Wenn nicht Masse zählt, sondern Symbolik, dann ist Frankreich das größere Brotland. Nicht nur, dass die Franzosen zu jeder Mahlzeit davon essen, auf le pain wurde die Republik erbaut! Da ist zunächst der französisch-österreichischen Königin Marie-Antoinette unerträglicher Satz angesichts dräuender Untertanen: "S'ils n'ont pas de pain, qu'ils mangent de la brioche." Dass die brotlosen Massen stattdessen Brioche essen sollen, wird heute als böse Nachrede Rousseau nachgeschrieben, aber seit dieser genial erfunden Logline vom Vorabend der Revolution war Brot in Frankreich immer ein sensibles Thema. Noch lange fürchteten dessen Gewählte den Volkszorn, daher wurde der Brotpreis dort bis in die späten 80er Jahre von der Regierung festgelegt. Und noch heute legt das Dekret Nr. 93-1074 fest, wie "Brot französischer Tradition" herzustellen sei. Das Reinheitsgebot des Brotes begrenzt zum Beispiel die Verwendung von Sojamehr im Teig, aus dem sich sicher auch "pain à l'ancienne" backen ließe, ein mit gemahlenen Weizenkeimen und allenfalls mikroskopisch nachweisbaren Schrotspuren auf rustikal gemachtes Brot, das, goldbraun durchgebacken, mit Mehl bestreut wird.

Oder die "baguette", dieser angeblich in Paris erfundene Vorwand eines Brotes zur Erzeugung von möglichst viel Kruste, daher auch nur die geringe Dicke von durchschnittlich fünf Zentimeter. Die Kruste wiederum ist sowohl der Vorteil des Backerzeugnisses als auch sein Nachteil: Es wird rasch weich. Und für dieses weichgewordene, ein Meter lange Weißmehletwas haben die Franzosen Worte, die Deutsche in dieser Genauigkeit für ihre Dauerbackwaren gar nicht kennen. Wegen raschen Alterns wird in französischen Bäckereien auch mehrfach am Tag gebacken. Und weil man die Qualität des (noch frischen) Brotes daran prüft, ob das weiche Innere, wenn man es knetet, in seine Ausgangsform zurückstrebt, gibt es auch hier ein Wort für die Knetmasse, la mie, für das die deutsche Sprache mit "Brotkrume" keine echte Entsprechung kennt.

Während in sehr volksnahen Kneipen der deutschen Hauptstadt "ein Meter Bier" konsumiert werden kann, das ja bekanntlich auch 'flüssiges Brot' genannt wird, haben sich die Berliner gestern bei einer historischen Rekonstruktion um das Andenken Napoleons verdient gemacht. Es ging um die Frage, warum das französische Meterbrot ausgerechnet diese Form hat. Napoleons Mannen und seine Reiter zogen nach 200 Jahren erneut durch das Brandenburger Tor, auch um zu prüfen, ob das Baguette wirklich einstmals in diese Form gebracht wurde, um in die Hosentasche der Soldaten zu passen. Aus gut informierten Kreisen wissen wir jetzt: Das kann nicht die Erklärung sein. Die Hosentaschen der zeitgenössischen Uniformen sind zu klein und marschieren lässt sich mit dem Stock in der Hose auch nicht.

Die Dame der Quadriga hoch oben auf dem Tore, schon lange von ihrer damaligen Besuchsreise nach Paris zurückgekehrt, wird sich gewundert haben. Und sie wird ihren Rössern die Anekdote erzählt haben, wie das westfälische Schwarzbrot zu seinem Namen gekommen sein soll. Napoleon, der auf dem Feldzuge des schwarzen, weil extrem langsam ausgebackenen Brotes angesichts ward, soll befunden haben, dieses sei allerhöchstens gut für sein Ross mit Namen Nickel. Und aus "bon pour Nickel" soll "Pumpernickel" geworden sein. Schluss mit der Schwarzweißmalerei in Sachen Brot!

P.S.: Den Gedanken hab ich hier nirgendwo reingekriegt: les "copains", die Kumpel, sind auf Französisch natürlich jene, mit denen wir das Brot teilen. Und ein berühmter copain, Georges Brassens - les copains d'abord - starb genau heute vor 25 Jahren.

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