Sonntag, 15. Oktober 2006

Zwei türkische Freunde aus "Westberlin"

Sonntag am Hafen. Im Westen, eine kleine Spazierroute von der Stadtschreiberwohnung entfernt, liegt der Urbanhafen. Hier wurden einst Lastenkähne gelöscht, die Waren und Baumaterial nach Berlin reinbrachten. Jeder zweite Stein, aus dem Berlin erbaut wurde, kam über dem Wasserweg in die Stadt.

Heute sind dort, wo einst das Hafenbecken war, eine Wiese, ein Weg und ein Restaurantschiff mit Terrasse. Hier sitze ich am frühen Sonntagabend mit Zahra, einer deutsch-türkischen Psychologin aus Wedding. Sie erzählt mir von ihrer Kindheit in Westberlin. Im Schatten der Mauer schien auch für sie vieles einfacher. Wichtigster Unterschied zum heutigen Aufwachsen in den sogenannten Problemkiezen sei sicher gewesen, so Zahra, dass es in den siebziger Jahren schlicht noch nicht so viele Kinder von Migranten gab.

"Und die Stimmung war allgemein optimistisch", sagt Zahra. "Etliche aus meiner Grundschulklasse sind mit mir zusammen aufs Gymnasium gekommen, das war nichts besonderes. Auch in den 80ern noch nicht, das war Ergebnis der Bildungsoffensive und der Chancengleichheit der Siebziger. Irgendwie schien immer klar, dass es der nachwachsenenden Generation besser gehen würde, als der vorhergehenden. Diese positive wirtschaftliche Erwartungshaltung teilten alle."

"Die Schulwahl habe ich nicht als kompliziert erlebt. Und so gingen eben jene, die später mal die Bäckerei der Eltern übernehmen sollten, in die Hauptschule, andere kamen auf die Realschule, die Lehrstelle und der Job im Anschluss waren kein Problem. Wir anderen lernten weiter in der Schule, wir hatten die Wahl. Und ich hatte im Gymnasium auch türkische Mitschülerinnen, die mit Kopftuch zum Unterricht kamen. Das war vor dem 11. September kein Politikum. Es war kein Statement, sondern nur Tradition der Familie, und natürlich haben sie es zum Sport, bei dem wir ja unter Mädchen waren, abgelegt, das war nie ein Problem."

"Soweit ich das sehe, demotiviert heute die Jugendlichen vor allem die Perspektivlosigkeit, die sie sehen und über die fast alle Medien berichten. Sie haben das Gefühl, dass die Anstrengungen nicht lohnen, wenn am Ende doch eine Hartz IV-Situation steht, denn was sie bei ihren Eltern sehen, prägt natürlich auch sie..."

"Ich bin sicher nicht repräsentativ, aber auch keine Ausnahme. Mein Vater kam zum Studium aus der Türkei nach Berlin. Und von uns vier Geschwistern haben drei studiert. Was mich derzeit am meisten nervt, ist, dass die Medien seit 2001 vor allem auf das Problematische bei islamischen Menschen focussieren, die journalistische Sprache ist ganz offensichtlich viel drastischer geworden."

Und ich erzähle ihr von meinem "alten Journalistenkollegen" Yasin, der gar nicht so alt war, als wir uns vor über 10 Jahren bei einem ARD-Sender kennengelernt haben, auch er stammte aus Westberlin. Der studierte Historiker war einige Jahre jünger als ich. Und er war verdammt gut und ebenso charmant, dieser Sohn eines Deutschlehrers und Gewerkschaftlers aus Istanbul. Ich habe ihn im Sender immer wieder ins Gespräch gebracht, ihm Tips gegeben, ihn ermutigt. Wenn die Auftragslage mau war, hat Yasin nachts in Bars die kompliziertesten Drinks gemixt. Seine Bewegungen waren so elegant wie die eines Balletttänzers, sein sportlicher Körper zog die Blicke auf sich. Den Rest machte er mit seinem Lächeln, alle schienen ein wenig in ihn verliebt, Männlein wie Weiblein. Yasin kam seltener in den Sender. Ich beriet ihn noch ein wenig, als er ein Drehbuch schrieb. Dann schlug die Welle des Erfolgs über ihm zu.

Heute managed er mit großem Erfolg mehrere Berliner Restaurants: ein Verlust für unsere Medien. Aber er entsprach offenbar mehr den Vorurteilen, die man einem jungen deutsch-türkischen Gastwirt gegenüber hat als dem Image des multikulturellen Journalisten.

Als wir nach Neukölln gezogen sind, sagte Yasin übrigens entsetzt: "Was, ihr zieht zu den Kanaken?" Er lebt in Tempelhof, der Schule seines Sohnes wegen, den er zusammen mit seiner deutschen Freundin aufzieht.

Berlin ist zur Hälfte aus Steinen erbaut, die aus der Ferne herbeigeschafft worden sind. Und die heutige Stadt bauen auch jeden Tag Menschen weiter, deren Vorfahren aus der Ferne kamen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Liebe Caroline, Du hast meinen Standpunkt gut auf den Punkt gebracht. Und die Berichte zum Kiez sind interessant, hast du mal daran gedacht, ein Buch darüber zu schreiben? Selam, Zahra