Eigentlich hatte ich nur eine Schneiderin fürs Engmachen eines Jacketts gesucht, das schon immer zu weit ist. Dabei fand ich Vera.
Sie ist Modedesignerin, nicht mehr ganz jung, aber auch nicht alt. Ihren Laden betreibt sie mit einer anderen Frau zusammen in Neukölln an der Grenze zu Kreuzberg. Normalerweise ändert sie nicht, hier änderte sie meinen Blick auf Kleinstbetriebe.
Inmitten wunderschöner Modelle (manches lässt mich an Westwood denken, anderes an Jil Sander), die Vera alle selbst entworfen hat, sagt sie:
"Der Laden ist zu klein und zugleich zu groß. Zu groß, weil so viel Verwaltung zu tun ist. Zu klein, weil er nicht genug abwirft und ich mir keine bessere Lage leisten kann. Meine Partnerin strickt, ich nähe. Wir verkaufen nur eigene Modelle, hochwertige Boutique-Sachen. Nur fehlt uns hier die Kundschaft. Der Kanal zur einen und der Kottbusser Damm zur anderen Seite wirken wie Grenzen, die zu überqueren für viele nicht selbstverständlich ist."
"Die Kreuzberger und Neuköllner Kids, die hier zufällig reinkommen, wissen gar nicht, was das bedeutet, echte Wolle oder Kashmere. Sie wundern sich über den Preis, 300 Euro für einen Design-Mantel, und können Qualität nicht mehr erkennen. Wie denn auch, in ihren Plastikklamotten wissen sie nur, was Marken sind, dass die Klamotten aber aus China stammen und nicht viel taugen, ist ihnen neu, denn der nächste Modetrend sorgt dafür, dass die Sachen bald wieder abgelegt werden. Auch da geht ins Geld. Ein Mädchen hat mir erzählt, dass sie vor der Schule im Supermarkt hilft, um sich Kleidung zu kaufen, statt ausreichend zu schlafen, um in der Schule wach zu sein."
"Ab und zu kommt Kundschaft aus Zehlendorf oder Dahlem her. Die wissen genau, was ich verkaufe. Da gelte ich als Geheimtipp. Die sagen kaum was, fragen auch nichts. Aber sie kaufen. Ich sehe ihnen an, dass sie sich ins Fäustchen lachen über die 200, 300 Euro, die sie im Vergleich zu dem, was vergleichbare Ware in der Stadt kostet, gespart haben."
"Ich sitze hier fest, immer mit der Angst vor der Steuerprüfung im Nacken. Und vor der Frage: 'Wovon leben Sie eigentlich?' Manchmal weiß ich das selbst nicht. Ich arbeite meist 12 Stunden, manchmal habe ich keine Zeit für ein richtiges Mittagessen; und Licht im Schaufenster kann ich mir nicht leisten. Geht einfach nicht. Aber es gibt eh keine Laufkundschaft, die ich anlocken könnte, wie gesagt, die Gegend ist arm."
"Den Wandel im Kiez merke ich auch, es sind mehr junge Leute hier, Maler und Designer, Fotografen und Kunsthandwerker. Aber die haben ja auch kein Geld. Wie soll die Wirtschaft funktionieren, wenn lauter Leute, die vor allem eins haben, Ideen, sich gegenseitig was verkaufen sollen?"
"Das größte Desaster wäre, wenn das Finanzamt sagen würde, dass meine Arbeit nur ein Hobby sei. Das passiert dann, wenn ich längerfristig nicht genug Gewinn einfahre. Nicht nur, dass ich jetzt schon so arm lebe wie als Studentin, ich könnte den Laden dann ganz dichtmachen. Wenn das Amt eine Arbeitslose mehr haben will, brauchen die's nur zu sagen."
"In drei, vier Jahren wird der Kiez hier hip sein. Das Gute wird sein: Dann zieht Kaufkraft in den Kiez. Das Schlechte: Die Mieten steigen. Dann können Leute wie ich ihn uns nicht mehr leisten, es sei denn, die Verträge sind gut und laufen lang, aber neue Kreative werden's schwer haben. Wer's nicht schafft, muss weiterziehen, in einen neuen Kiez, der unten ist, und das Spiel geht von vorne los."
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