Sonntag, 22. Oktober 2006

(Wieder nichts über NK) Notizen einer Dolmetscherin

Gerade bereite ich ein Filmfestival in Süddeutschland mit vor, und zwar die meiste Zeit von Neukölln aus. Meine Gebrauchstexte schreibe ich in dieser Phase für das dortige Publikum ... Heute berichte ich aus dem Alltag eines meiner gelernten Berufe.

Es passiert auf jedem Festival mindestens ein Mal. Der ausländische Gast hat gesprochen, ich habe Notizen gemacht. Dann entsteht eine kurze Pause, ich sammle mich und lege los. Und merke es erst nach ein, zwei Sätzen: ich hab Französisch gesprochen! Das Publikum lacht, ich mit, und es geht wieder los. Diesmal auf Deutsch.

Seit dem Studium dolmetsche ich für Filmleute und auf Festivals. "Wie machst du das nur?" ist eine oft gehörte Frage. Die ich mir selbst nicht mehr stelle. Wenn ich aus dem Französischen ins Französische statt ins Deutsche übersetze, hat mich eine oftmals winzige Kleinigkeit abgelenkt. Das kann eine anspringende Lüftung sein, oder jemand, den ich kenne, verlässt das Kino. Oder ich habe eine Äußerung von Cinéast oder aus dem Publikum unterschwellig als Kritik aufgefasst. Ich bin verdammt verletzlich da vorne, auch mit jahrelanger Routine noch.

Wer dolmetschen will, muss zunächst die Sprachen sehr gut beherrschen. Und einen großen Wortschatz haben. Was ich (noch) nicht weiß, weil mir ein Thema neu sein mag, wird angelernt, Internet sei Dank gibt es heute keine Beschaffungsprobleme mehr. Manchen Gast kann ich mir im Netz bei France Culture vorab sogar anhören, mich auf Akzent und Sprechgeschwindigkeit einstellen. Das beruhigt ganz ungemein, denn alles, was ich als Vorbereitung mache, folgt dem Plan der Selbstberuhigung.

Denn im Grunde gibt es nichts Unnatürlicheres und Peinlicheres, als da vorne zu stehen und etwas zu sagen, das bereits gesagt worden ist. Ich habe Jahre gebraucht, um meinen inzwischen geliebten Nebenjob als konkrete Dienstleistung zu interpretieren. Ich muss die Fragezeichen in den Augen meiner Kundschaft sehen, sonst bin ich nicht gut. Das ist auch der Grund, weshalb ich mehr Publikumsgespräche dolmetsche als simultan in der Kabine: Die Nähe.

Daneben gilt es die sprachliche Hemmschwelle zu überwinden. Wie viele Zweisprachige habe ich die Sprachen als ein jeweils eigenständiges System gelernt, in dem sich Erklärungen und Vergleiche immer nur auf Begriffe aus der jeweiligen Sprache bezogen. Beim Dolmetschen geht es aber nicht um Synonym oder Gegensatz, sondern um die möglichst exakte Entsprechung in der anderen Sprache. Als ich 1989 zu dolmetschen begonnen habe, war mir, als müsste ich die Vokabeln beider Sprachen noch einmal lernen. Nein, nicht beide Sprachen: Die Verbindungen zwischen ihnen.

Diese Verbindungen waren in meinem Bewusstsein untergründig schon da, aber eben nicht aktiviert, nicht bewusst. Den zweiten Sprachstrom als etwas Alltägliches zu erfahren und wie auf einem Videoband zwischen "Spur 1" und "Spur 2" hin- und herzuspringen, das ist im Grunde der ganze Aufwand. Und natürlich das permanente Suchen und Notieren von Vokabeln. Manches wird in der einen Sprache nicht substantivisch, sondern als komplizierte verbale Konstruktion ausgedrückt. Oder aber es gibt diesen oder jenen Begriff in der anderen Sprache nicht - also muss ich übertragen, kurz den Kontext anreißen. Aber nur kurz, sonst bremst diese Geste und das Publikum hat zu Recht den Eindruck, Sachen zu hören, die gar nicht gesagt worden sind.

Dolmetschen ist also immer ein Abwägen. Wie gehe ich damit um, wenn ein Sprecher sich x-fach wiederholt? Was mache ich mit den fünf Adjektiven, die er oder sie so schnell runterrattert, dass ich nur drei davon behalten habe? Ich kürze geringfügig, fasse zusammen. Und wenn ich gar nicht mehr mitkomme, darf ich nachfragen. Denn auch das Jonglieren von Mikro, Stift und Stenoblock raubt Aufmerksamkeit. Ich schreibe übrigens keine Steno, sondern zeichne in eigenen Kürzeln die wichtigsten Begriffe auf. Wobei ich Sie, geneigtes Publikum, manchmal auch kurz warten lasse: Wenn der ausländische Gast fertig gesprochen hat, notiere ich oft noch den letzten Gedanken. Denn auf die Pointe will ich nicht verzichten.

Und hier ist sie: Was ist der Unterschied zwischen Dolmetschen und Übersetzen? Sie werden das nie wieder verwechseln: Übersetzer übertragen Texte, sie schreiben also. Wenn Übersetzen Handwerk ist, ist Dolmetschen Mundwerk.

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