Montag, 13. November 2006

Weihnachten in der Feuerpause

Das vierte "Rendez-vous du cinéma"

Es war wie ein Familienfest zu Jahresende: Die meisten sehen sich gerne und feiern miteinander, aber dann ist da auch der Cousin, der einen beim Erbe (vielleicht) übers Ohr gehauen hat. Das vierte deutsch-französische Filmgespräch brachte am Wochenende knapp 300 Filmleute aus beiden Ländern in einem Münchener Kino zusammen.

Die "Rendez-vous" sind Ergebnis der von Jacques Chirac und Gerhard Schröder 2000 ins Leben gerufenen "deutsch-französischen Filmakademie". Die offiziellen Filmbeziehungen stehen jetzt also im schwierigen siebenten Jahr. Nach Krise sieht es nicht aus, im Gegenteil. Waren zuvor die Filmkulturen des jeweiligen Nachbarn nur noch wenigen bekannt, vor allem das deutsche Kino in Frankreich, sind deutliche Aufwärtstrends zu beobachten, nicht nur seitens der Kritik. Ein Grund war der Erfolgsfilm des Jahres 2002, "Good bye Lenin" von Wolfgang Becker. Er lockte als untertitelter Film mehr als anderthalb Millionen Franzosen ins Kino und setzte damit der unglücklichen Situation ein Ende, dass dort deutsche Filme wie "Lola rennt" oder "Anatomie" ohne Nennung des Herkunftslandes beworben worden waren, wenn sie nicht gleich in der englischen Sychronfassung, französisch untertitelt, ins Kino kamen. Jetzt spricht in Frankreich die Kritik von einer "nouvelle vague allemande", und auch wenn die Zuschauerzahlen bislang noch eher bescheiden sind, kommen vor allem endlich wieder mehr deutsche Filme ins Kino.

Zur Änderung trug sicher auch der 2001 aufgelegte und mit drei Millionen Euro pro Jahr ausgestattete deutsch-französische Filmfördertopf bei, das "Mini-Traité". Davon profitierten seither 36 Filme, von denen, so kritisierten die einen, fast drei Viertel auf französische Initiative zurückgingen. Und von denen wiederum, so befanden andere, etliche nicht ins Kino kamen. Man solle, so forderte am Abschlusstag denn auch Regisseurin Helma Sanders-Brahms, den "Mini-Traité" endlich zum "Maxi" und damit groß werden lassen.

Das jüngste Beispiel erfolgreicher Zusammenarbeit ist sicher "Das Parfum" vom Tom Tyckwer, der, so herrschte hinter vorgehaltener Hand Einigkeit, die Förderung nicht gebraucht hätte. Eine andere Großproduktion, kleiner im Budget, aber just vor einem Jahr sehr präsent in den Medien, war "Merry Christmas" von Christian Carion, zu dem beim Filmtreffen vor einem Jahr in Köln das Marketingkonzept vorgestellt worden war. Der französische Verleih hatte bei dieser Fußnote des Ersten Weltkriegs, einer Weihnachtsverbrüderung über Schützengräben hinweg, auf die historische Einzigartigkeit des Moments gesetzt. Die Deutschen, vielleicht aus der Angst heraus, dass man in hierzulande in den letzten Jahrzehnten ohnehin schon genug von Kriegen gesprochen hat, hoben mitwirkende Stars wie Daniel Brühl und die Diane Krüger hervor. Die Hauptwirkungsstätte Krügers, ein Produktionsstandort im englischsprachigen Raum, schien denn auch den "deutschen" Verleihtitel zu inspirieren. Gemessen an den Erwartungen floppte der Film selbst in Frankreich, wo ihn knapp 2 Millionen Kinobesucher sahen, in Deutschland nur 250 Tausend. (Zum Vergleich: "Die Kinder des Monsieur Mathieu" hatte mehr als sieben Millionen Kinozuschauer in Frankreich bzw. hierzulande mehr als eine Million.)

Die Auswertung dieser Ergebnisse fand nur im kleinen Kreis statt. Ansonsten gab es große Runden, knapp dreihundert Gäste, viel Programm: erst Diskussionen, dann Hochkultur, zwischendurch Esskultur, so lassen sich trefflich neue Projekte vorantreiben. Die bei einem "Pitching" öffentlich vorgestellt wurden - in jeweils drei Minuten präsentierten Produzenten oder Regisseur ihre Stoffe auf der Suche nach Koproduzent, Verleih oder Sender. Hier fiel der Trend zum Autorenfilm auf, zum kleinen bis mittelgroßen Projekt, dessen Story am besten auch noch eine deutsch-französische oder sogar trilaterale Koproduktion anbietet. Geschichten von Flucht und Vertreibung, über Liebe und Altwerden sowie historische Stoffe. Wobei der Entwicklung der Filmhandlung eine gewisse Zufälligkeit anhaftet - "wir drehen entweder in Baden-Württemberg oder in Norddeutschland" - je nachdem, welche regionale Einrichtung das Projekt fördert.

Da scheint wichtiger zu wissen, mit wem man zusammenarbeiten will, zu wem man Vertrauen hat. Die Filmförder- und Finanzierungssysteme beider Länder unterscheiden sich stark voneinander, selbst wenn sich die Deutschen in den letzten Jahrzehnten wiederholt von den französischen Förderinstrumenten anregen ließen und das zentralistische Frankreich seit der Jahrhundertwende auch mit Blick auf Deutschland ihre regionalen Filmförderungen stärken. Die Systeme sind derart verschieden, dass auch im siebenten Jahr intensivierter Gespräche von deutscher Seite nicht selten mit Verwunderung kommentiert wird, dass französische Produzenten offiziell gar kein eigenes Geld in Projekte investieren müssen, während sie doch auf dem Papier zu einem Drittel ihr eigenes Kapital einsetzen. Dahingegen mutmaßen viele Franzosen noch immer, die angebliche Unterfinanzierung der deutschen Filmproduktionen existiere nur in der Außendarstellung, denn von so wenig Geld, wie da übrigbleibe, könne man ja nicht leben.

Das "Mini-Traité", das von der Branche angeregt worden war, könnte nun eine Novellierung erfahren. Die im Vergleich zu anderen politischen Einrichtungen kleine, unverschlissene und einmütige Szene regte nun an, Projekte auch schon in der Drehbuchphase bilateral zu unterstützen - und auch den Verleih von Koproduziertem. Die Problemanalyse mündete gleich in Vorschläge. Einmütigkeit sei überlebenswichtig, kommentierten viele Produzenten beider Länder. Angesichts der Stärke des amerikanischen Kinos wirke jede Erfolgsmeldung zum europäischen Kino wie das Bejubeln einer Feuerpause.

Frankreich setzt auf Zusammenarbeit. Letztes Jahr wurde dort die noch nie dagewesene Zahl von 240 Filmen hergestellt, fast jeder zweite in Koproduktion. In Deutschland ist das nur jeder dritte der 146 produzierten Filme. Auch, wenn das jeweilige Publikum derzeit Filme aus dem eigenen Land mag, die Angst vor der kalifornischen Studioregion, die in München übrigens selten beim Namen genannt wurde, besteht weiter. Der Blick geht dabei über Frankreich und Deutschland hinaus. "In Zeiten, wo Flugzeugbauer nicht mehr weiterwissen, legen wir mit unseren Geschichten die wirklichen Grundlagen Europas" resümierte Regisseur Jean-Jacques Beineix die Lage - und alle klatschten Beifall.

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