Dienstag, 21. November 2006

Der Kulturbeutel

Die deutsche Sprache sei, so heißt es, wunderbar pragmatisch und anschaulich.
Georges-Arthur Goldschmidt zitiert dazu das "Vorhängeschloss", also ein Schloss zum Vorhängen, das verstehe doch jedes Kind. Das Wort "cadenas", so heißt das Objekt in Frankreich, erklärt sich indes nicht von selbst.

Auf Deutsch gibt es mindestens einen Gegenstand, für den die Regel der Anschaulichkeit nicht gilt. Sein Name ist wunderlich. Er vereint das scheinbar Unvereinbare: KULTUR - hier denken wir an die Oper und ans Theater, an Bücher und Malerei und an besondere Gebäude von der Kirche bis zur Schule - und BEUTEL: Ein Beutel ist ein verformbares Behältnis aus Stoff zur Aufnahme von Gegenständen oder Material. Er hat eine Öffnung, durch die es gefüllt und geleert werden kann.

Der "Kulturbeutel" also. Wie passt das zusammen? Oder wie passt die Kultur in den Beutel?

Es ist eine besondere Kultur, die im Beutel verschwindet. Auf jeden Fall ist es nicht, was man auf Deutsch "Hochkultur" nennt, jene eben erwähnten Einrichtungen, die der Erbauung, Erfreuung und der moralischen Erhabenheit dienen. Das Wort "Hochkultur" legt indes nahe, dass es eine "niedere Kultur" geben würde.

Und wirklich, es gibt sie. Bücken wir uns und betrachten wir die "Frühkultur" auf dem Land, wo in "Frühbeeten" das "Frühgemüse" herangezogen wird. Heben wir den Blick und werfen wir einen Blick auf die "Unternehmenskultur", bei der eigentlich die Kultur das Unternehmen steuern soll. Jetzt steuern manche Unternehmen großherzig der Kultur einen Obolus bei in der Hoffnung, ihre Unternehmenskultur (in der Steigerung: die Unternehmens"philosophie") geriete aus dem Blickfeld der Allgemeinheit, denn leider besteht sie allzuoft darin, Arbeitskräfte "freizusetzen", was ihnen in der Regel flugs an der Börse gedankt wird. Lassen wir die Augen auf der "Küchenkultur" ausruhen mit polierten Granit-Arbeitsflächen und sündhaftteuren japanischen Sushi-Messern, das klingt immer ein wenig nach Wohnzeitschrift. Hier sehen wir gepflegte "Lebenskultur", die offenbar noch einen Schritt vor der "Lebenskunst" liegt, der "art de vivre", vielleicht aus Unsicherheit heraus, ob man letztere wirklich beherrscht.

In Deutschland, besonders aber in der ehemaligen DDR, ist auch die "Freikörperkultur" sehr beliebt. Sommerwochen am besten am Meer so zu verbringen wie Adam und Eva in freier Natur - das ist der Traum vom einfachen Leben, von der klassenlosen Gesellschaft. Hier sind wir unserem "Kulturbeutel" schon recht nahe. Es geht nämlich um Existentielles, um “Körperkultur” und Körperpflege. Den "Kulturbeutel" findet man in Regalen der Drogerien, das verformbare Behältnis aus Stoff wird mit Deo und Seife, Shampoo und Kamm gefüllt. So ist der "Kulturbeutel" die Hülle, in der die Leute ihre Kultur mit sich herumtragen, wenn sie auf Reisen gehen.

Nur komisch, dass das Gleiche auf Französisch "le nécessaire" heißt, "die Notwendigkeit": Eine ungleich pragmatischere Beschreibung der Angelegenheit.

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