Montag, 1. Januar 2007

Reisen bildet

Das Leben ist eine Reise. Aber wer reist, muss nicht unbedingt Verkehrsmittel verwenden. Meine Abneigung gegen Bahnhöfe und Flughäfen wuchs schon, als ich Kind war. Sie wuchs mit jedem Montagmorgen, an dem ich meinen Vater vor Morgengrauen in eine andere Stadt fahren lassen musste, um Geld zu verdienen. Da wirkte auch der Freitagabend nicht versöhnlich, als meine Mutter und ich um sechs an der Treppe auf Bahnsteig vier standen. Das war in Marburg an der Lahn, ich war fünf.

Letztes Jahr hatte ich bis zum Sommer schon 25 Fahrten zum Flughafen gezählt. Ich sah die Busfahrer und die Damen der Personenkontrolle häufiger als meine Freunde. Wie oft umrunde ich in meinen Vielreise-Jahren den Globus? Das erste Jahr dieser Art erlebte ich schon als Studentin und Praktikantin im aufregenden Jahr 1989. Damals studierte ich noch in Paris, bin damals aber meine ersten Schritte als Journalistin gegangen.

2007 wird wunderbar. Ich schreibe meine Dissertation - und bleibe mehr zu Hause. Daher werde ich natürlich weniger Geld zur Verfügung haben. Ich kehre zum Teil zu studentischen Lebensweisen zurück, vermiete ein Zimmer unter und habe mir extra im Wohnzimmer einen zweiten Arbeitsplatz eingerichtet, eine schöne Arbeitsecke mit verstecktem Regal, altem Sekretär und Mappenwägelchen (alte Holzschubladen auf Rollen, die man unter den Sekretär schieben kann). Dann kommen noch "Billies" (von Ikea) ins Schlafzimmer, aber die Sache ist es unbedingt wert! Ich arbeite in meinem Rhythmus, selbstbestimmt und ohne Kollegen-/Chefärger.

Warum ich "jetzt noch" promoviere, irritiert manche(n). Der Hintergrund ist einfach erklärt. Ich bin in meiner Arbeit sehr vielfältig, habe Projekte geleitet und durchgeführt, meist in kleineren Kulturbetrieben, Filmproduktionen, Festivals. Leitung liegt mir, entwickeln, schreiben, planen, kontrollieren, kommunizieren. Nur war ich meist auch meine erste Mitarbeiterin in der Basisarbeit, da der Kultursektor unterfinanziert ist (und Medienunternehmen mit unregelmäßigen Aufträgen für anspruchsvolle Filme zählen da auch dazu). Und hier lässt sich nicht delegieren, Basisarbeit erfordert Genauigkeit bis hin zu "Pingelqualitäten". Das bremst aus. Wenn dann noch Unmotivierte im Team sind oder, wie in den Jahren oft erlebt, der Anteil der Unterbezahlten und Unerfahrenen steigt, wird die Angelegenheit noch zäher.

Kurz: Diese Tätigkeiten wurden in den Jahren immer anstrengender, der Honorarschnitt der geleisteten Stunde sank in dem Maße, wie die Generation Praktikum die Bühne betrat. Nun kommt zur Armee der erfahrungssuchenden Gratis-Arbeitskräfte in Berlin der billige Büroquadratmeter hinzu. Einen Schreibtisch mehr aufzustellen kostet nicht mehr viel, in Telefoneinheiten gerechnet auch nicht ...

Am Ende bin ich einen Tag in der Woche als Dozentin in die Uni gegangen, weil ausgebildet habe ich ja ohnehin und die Leute, die in den Büros ankamen, wussten oft nicht viel. Nächste Misere: Die Honorare der Lehrbeauftragten wurden seit 40 Jahren nicht der Inflation angepasst. In den sechziger Jahren konnte man von 1,5 Seminaren im Semester leben und sich daneben weiterqualifizieren, heute zahle ich damit Strom und Gas. Und weil das nicht reicht, vermarkte ich jetzt eine andere Qualifikation, die ich in internationalen Koproduktionen nebenbei verbessert habe: ich dolmetsche zwischen Deutsch und Französisch, inzwischen auch simultan und in der Kabine.

Und mir fiel ein, dass meine Dissertation auch einfach nur eine Studie über einen Teil der Filmbranche und Filmproduktionsweisen sein könnte. Aus der Summe meiner Erfahrungen strickte ich ab dem Sommer meine Gliederung. Dann kam das Exposé dran. Das soll mir jetzt Kofinanzierungen durch die Filmfördereinrichtungen verschaffen, über die ich in der Arbeit eben auch arbeite; ein Teil ihrer Budgets ist für Forschung reserviert. Und diese Woche räume ich meine Wohnung um, miste alte Filmproduktionsakten aus und schreibe parallel am ersten Kapitel.

Diese komplexe Situation bildet ab, dass ich etliche Talente habe, ja, es sind zu viele, das hat mich jahrelang so gut ausbeutbar gemacht - und dass ich aktiv nach Lösungen suche und finde.

Das Leben ist eine Reise und Reisen bildet. Jetzt werde ich in meinen Büchern reisen: Filmwirtschaft in Frankreich und Deutschland.

Keine Kommentare: