Freitag, 19. Januar 2007

Interview mit Sophie

In einem Café meiner Nachbarschaft lerne ich Sophie kennen, als der Kellnerin ein Tablett runterfällt und wir beide Spritzer abbekommen. Weil an ihrem Tisch eine große Pfütze ist, setzt sie sich für die Zeit der Aufräumarbeiten zu mir und bleibt hängen.

Sophie hat dunkelblonde, lange Haare, ist schlank und hat grazile Bewegungen; ich hätte sie maximal auf 37 geschätzt, dabei ist sie fünf Jahre älter. Als Kind war Sophie Ballett-Fan, heute tanzt sie Tango. Die Theaterwissenschaftlerin realisiert Dokumentarfilme, wenn sie denn mal wieder ein Projekt durchboxen kann.

Sophie: Nord-Neukölln ist klasse, ich wohne billig, mein Tanzstudio kostet ein Drittel weniger als das in Mitte, selbst der Milchkaffee ist oft billiger.

Ich: Das ist doch aber auch eine Gefahr. Die ZITTY schrieb vor einem Jahr über die Großstadtnomaden, die nicht ankommen, weil kein wirtschaftlicher Druck da sei.

Sophie: Den machen nicht die billigen Mieten, wir lassen uns nicht in die Hängematte fallen. Höhere Mieten könnte kaum einer zahlen, wenn die Einkommen so gering sind. Nimm mich als Beispiel: Akademikerin, Auslandserfahrung, mehrere Fremdsprachen. Ich hangele mich von Job zu Job, weil es immer Leute gibt, die besser vernetzt sind - und andere, die als "Praktikant" (sie malt Anführungszeichen in die Luft) kostenlos arbeiten. Die einen hatte Zeit sich zu vernetzen, als ich in Madrid und Lyon war. Für die andren blechen die Eltern. Wohin soll das noch führen?
Berlin ist für mich eine sehr nette Sackgasse: ich hab mich für meinen Freund entschieden, der hat ein Kind, ist also an die Stadt gebunden.

Ich: Und was machst Du, um Jobs zu kriegen?

Sophie: Besser sein als andere. Das hilft manchmal, auch nicht immer. Was im Vorfeld an unbezahlter Arbeit verlangt wird, Exposés, Treatments, am liebsten noch ein Kurzfilm zum Thema, wird immer komplexer. Mein vor-vorletztes Projekt haben sie beim Sender geklaut. Öffentlich-rechtlich, die kommunizierenden Röhren: während ich mit den einen noch verhandle, fingen die andren schon mit der Umsetzung an. Ein freier Redakteur war plötzlich der Autor. Nee, in dieser Gesellschaft gibt's die mehrfache Zweiteilung: drin oder draußen, absahnen oder nicht. Viele werden durch die Demütigungen ganz mutlos.

Ich: Und Du?

Sophie: Meistens draußen aber irgendwie stabil. Ich unterrichte seit acht Jahren an einer Kunsthochschule. Das bringt zwar nicht viel Geld ein, weil ich mich ja vorbereiten muss und wenn Theaterarbeit dabei ist, bekommen wir auch nicht alle Proben bezahlt. Viele Studenten arbeiten auch theoretisch.

Ich: Darf ich fragen, was Du da verdienst?

Sophie: Ich bin der Ein-Euro-Lehrer (lacht), und zwar ganz ohne Hartz IV. Im Ernst, man kriegt um die 20 Euro für jede gehaltene Stunde, also nur im Semester. Da ich Seminare halte, die so überfüllt sind, dass arbeiten oft schwer ist, läuft es auf eine Art Vorlesung hinaus. Das ist vorbereitungsintensiv. Plus Bücher kaufen, die Bibliotheken Berlins sparen halt echt, plus Klausuren, netto ein Euro ...

Ich: Hab ich schon mal gehört. Warum tust du dir das an?

Sophie: Ab und zu stellt man mir einen anderen Vertrag in Aussicht. Vielleicht ... naja, ich bleib vor allem im Geschäft - und im Gespräch. Und es ergeben sich manchmal Jobs daraus: ich hab letztens einen Autor entdeckt, an einen Verlag vermittelt und übersetzt.

Ich: War das besser bezahlt?

Sophie: Nur ein wenig. Literaturübersetzung bezahlt in Deutschland der Lebensgefährte (lacht wieder). Im Ernst, um die zehn Euro die Stunde. Für eine Akademikerin unangemessen, ich weiß. Für das Geld mach' ich auch nichtakademische Jobs.

Ich: Zum Beispiel?

Sophie: Akt stehen. An Kunsthochschulen und der VHS, bei Zeichenkursen zur Mappenvorbereitung, manchmal auch privat.

Ich: An der gleichen Hochschule, an der du unterrichtest?

Sophie: Nein, das nicht, ich ahne, worauf du hinauswillst: die Studis sind eher borniert und wechseln nur selten mal den Bereich. Aber ich glaube, es würde mich nicht stören, wenn aus dem Seminar einer käme. Ich bin nicht verklemmt. Ich mag mich, wer das nicht von sich sagen kann, sollte nicht als Aktmodell arbeiten.

Ich: Ist das nicht irgendwie auch eine erotisch aufgeladene Situation? Gibt's da Spanner?

Sophie: Vielleicht, aber nee. Das ist sehr professionell. Die haben mit ihren Formen und dem Papier zu kämpfen. Und ich denke ohnehin an was andres. An die Steuererklärung, die nächsten Seminare, Bücher, oder ich denke gar nichts.

Ich: Andere hätten da sicher mehr Probleme mit ...

Sophie: Ich bin nicht schamlos, aber weshalb sollte ich mich schämen? Für was?

Ich: Wie bist du dazu gekommen?

Sophie: Durch eine Freundin, mit der ich vor 20 Jahren zusammen studiert habe. Sie unterrichtet heut im Atelier. Vor 20 Jahren hab ich schon mal Akt gestanden, und als jetzt jemand ausfiel, bin ich halt eingesprungen.

Ich: Macht das was mit deinem Ego, dass du fürs Unterrichten als Akademikerin ein Zehntel von dem erhältst, was jemand ohne Qualifikationen fürs Aktstehen bekommt?

Sophie: Aktstehen ist nicht ohne. Ich werde gebucht, weil ich Ausstrahlung hab und trainiert bin. Posen zu halten kann ja auch sehr anstrengend sein. Aber im Grunde ist es eine Granatensauerei, was in diesem Land passiert, alle reden von Wissen und Bildung, dann hast du sie und dann ist es nichts mehr wert. Was mich auf die Palme bringt, ist, dass wir kinderlosen Akademikerinnen auch noch regelmäßig öffentlich abgewatscht werden. Mein Freund zum Beispiel hat sich sterilisieren lassen, weil ihn die Ex-Gattin mit juristischem Beistand arm gemacht hat. Die Gesetze entsprechen nicht mehr der Lebenswirklichkeit. Und ich hätt schon gern ein Kind, aber schau dich doch um? Wo sind denn die emanzipierten Väter?

Ich: Wo siehst du dich in 10 Jahren?

Sophie: Ich bin die Fernsehredakteurin, die unbestechlich nur das Beste fördert (lacht) - oder Dekanin an der Kunsthochschule.

Ich: Arbeitest du heute an deiner Vernetzung?

Sophie: So gut ich kann. Ich fürchte, dass die Aktsteherei, wenn DIESE Leute davon erführen, mir zum Nachteil gereichen würde. Wenn du einen guten Job weißt ...
Oder vielleicht sollte ich mir einfach einen reichen Mann suchen (lacht).

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