Dienstag, 19. September 2006

(In München) Hochprozentiges

München, ein fünf-Sterne-Hotel in Hofbräuhaus-Nähe. Illustre Gäste genießen den Apéritif an der Bar, darunter eine berühmte Brillenherstellerin, die so heißt wie ihre Brillen, ein bekannter Koch, der nicht so heißt wie sein Restaurant (und überhaupt, war da nicht gerade was mit Koks?) Dazu Zeitungsschreiber, Moderatoren, Lokalprominenz - muss man nicht alle kennen. Aus Frankreich eingeladen: Der Kellermeister. An seiner Seite: Die Stadtschreiberin von Neukölln, im Kostümchen zur Dolmetscherin verkleidet. Junger Cognac als Drink mit Ginger Ale.

Die Abendgesellschaft zieht jetzt in einen der Salons des Hotels um. Heute abend wird Cognac verschiedener Altersklassen kredenzt, und immer hat er etwa 40 % Alkoholgehalt. Ältere Produkte der Marke, also Cognac im Hochpreissegment, verkauft sich zu einem hohen Prozentsatz ... nach Asien. Dass Asiaten aufgrund ihrer anderen Gene Hochprozentiges nicht so gut vertragen sollen, hält man hier für eine Zeitungsente. Im Gegenteil, die konsumierten doch recht fröhlich, und überhaupt, dort seien jetzt die reichen Leute, sagt der Kellermeister. Garnelen auf Zitronencreme mit Gemüse der Saison.

Je weiter das Diner voranschreitet, desto länger haben die Eaux de Vie, die gereichten Weindestillate, aus denen der Cognac komponiert wurde, in Holzfässern gelagert. Je höher der Anteil an jungen Eichenfässern, desto dunkler wird insgesamt die Farbe. Dazu kommen bernsteinfarbene Reflexe, sie werden mit dem Alter intensiver.
Der Marketingchef: "Wir bekommen in der Zeitschrift Soundso einen langen Artikel über unser Weingut selbst, ja, natürlich haben wir für später dann auch einige Einrückungen terminiert." Gemeint ist Werbung (quelques insertions par derrière). Und alle genießen den Zander auf Senfmousseline.

Nun kommt der Cognac aus den ältesten Eaux de vie. Er wird in einer besonders aufwändigen Schmuckflasche kredenzt, die zu gestalten weitaus länger gedauert hatte, als den Blend der Cognacmischung zu kreieren. Das sei ein Cognac für Leute, die manches links liegen ließen, weil es zu billig sei, sagt einer der Weinhändler vom Insider-Tisch: "Es gibt zwei Sorten Kunden, die einen suchen nach Qualität und diejenigen, die unsicher sind, entscheiden nur nach dem Preis: Wenn etwas zu billig ist, kaufen sie es nicht. Und von denen gibt es immer mehr." Als weiterer Kaufanreiz wird die Menge des Produktes knapp gehalten.
Wenn man das Cognacglas schwenkt, fließt die fast schon zähe Flüssigkeit langsam ins Glas zurück, auch an der Fließgeschwindigkeit erkennt man das Alter. Dabei teilen sich die Tropfen, die hinabfließen, als wären es Beine. Legs heißen sie auch auf Englisch, Tränen auf Deutsch. Oder Kirchenfenster, weil sie die Form von gotischen Fenstern beschreiben. Das Bernstein im Glas könnte auch 'akazienfarbig' genannt werden oder 'tiefes Gold'. Nougatparfait an Erdbeeren in Vanilleschaum.

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