Dienstag, 1. Mai 2007

Raus zum revolutionären ersten Mai!

... lauteten einst die Parolen. Heute gemahnt das bunte Treiben auf den Straßen Kreuzbergs und Nord-Neuköllns an Folklore.

Wir schreiben den ersten Mai - und seit zwanzig Jahren treffen hier die Spontis mit den Polizisten zu Raufereien zusammen. Dafür werden extra "Westbullen" importiert, wie die Leute sich auf der Straße erzählen.
Die Sonne scheint. Viele Schaufenster sind mit Holz oder mit stoffbespanntem Etwas verrammelt, an den Straßen werden Süßigkeiten und Bier angeboten, ein Grillbräter hält neben "Steaks" auch "Deeskalationswürste" feil zum Stückpreis von zwei Euro. Familien und Schlachtenbummler promenieren am Nachmittag über die Chaussee. Wenn im schwäbischen Vaihingen der "Maientag" eingeläutet wird mit Volkstanz, Gesang und Rummel, herrscht auch keine andere Stimmung.

In den Nebenstraße überall Parkverbotsschilder. Reihenweise Mannschaftswagen der Polizei. Drinnen wartet der grüngekleidete Nachwuchs auf ihre schwarzgekleideten Altersgenossen.

Halb fünf kommt die große "revolutionäre Erste-Mai-Demo" am Haus vorbei. Zweitausend Marschierer, mindestens die doppelte Anzahl Grüne. Eine Stunde später die, so der Wirt vom Eck, Internationalisten-Schwulen-Lesben und-vegane-Kommunisten-Demo. Achtzig Leute, zweihundert von der Polizei, damit die Sache überhaupt aus der Masse der Sonnenspaziergänger heraussticht.

In den Kneipen sitzen die Leute und stärken sich. Zum Beispiel im "Spätzles Express" an der Wiener. Ein Vater, Piercing an der Nase, kräftiger Körperbau, Freizeitkleidung, erklärt Sohnemann die Bullerei auf der andren Straßenseite. Sohn ist maximal vier. "Schau, da drüben, wieder eine Ladung Bullen, die gehn bei der Feuerwehr pinkeln, stell'n ne Stange Wasser ab, fassen nach. Früher hießen die Mannschaftswagen "Wannen", so heißen sie aber heute nicht mehr. Und früher haben wir uns da immer gekloppt am ersten Mai."

Am Tisch zwei andre in Freizeitkleidung, kurze Haare, braungebrannt. "Wir sind auch von dem Verein", sagen die zwei, die wirklich eher wie Touris aussehen. Ein kurzes Moment des Schweigens tritt ein. "Naja", sagt Daddy zum Sohne, "die hier waren auch dabei! Und heute?" - "Heute haben wir frei!", sagen sie und haben zumindest mich, die ich am Nebentisch sitze und so tu', als läse ich, nicht überzeugt.

"Eigentlich können wir dankbar sein, dass es die Polizei gibt, also euch, sonst hätten sich hier etliche schon längst die Birne eingeschlagen!", sagt Daddy. "Ich bin jetzt Vater von vier Kindern, da wird man zum Spießer. Zum Bespiel meine Große, die will mit 15 zu ihrem Onkel nach Afrika reisen, ganz allein, nächsten Sommer, der Onkel leitet da ein Hostel. Sie jobbt neben der Schule und hat das Geld fast zusammen. Was willste da?, hab ich sie gefragt. Der Kontinent und die afrikanischen Männer, hat se jeantwortet. Wat weeß det Mädel schon von de Männer. Ja, soll ich jetzt meine fünfzehnjähriges Blondchen allein verreisen lassen, mit ihren Hormontitten ist die doch für die Schwarzen ein gefundenes Fressen? Und da Drüben gibt's keene Bullen die uffpassen." sagt da der Ex-Anarcho. Und die Vertreter der Staatsmacht pflichten ihm bei.

Derweil draußen die Jungs mit den Piratenkopftüchern ihre Käsespätzle futtern, während am andern Ende der gleichen Partybank von der Gruppe der Feuerwehr-Klogänger drei Polizisten in Uniform Platz genommen haben und auf ihre Spinatspätzle warten. Grün!

Später, als ich auf dem Nachhauseweg bin, erzählt mir der Wirt aus der Eckkneipe von den Zivilpolizisten, die massenhaft im Kiez rumlaufen sollen. "Gebügelter Parka, aber Tätowierung bis zum Hals, sehen cool aus, du erkennst sie sofort daran, dass sie fit sind und einen klaren Blick haben. Die sind noch von der WM übrig, die Einheit hat man jetzt für besondere Einsätze."

Und für den Abend ist die ganz große Maidemo angekündigt - zwanzig Jahre Bambule in Kreuzberg, in Erinnerung an den Tag 1987, als am Görli der Bolle brannte. "Damals sind die Bullen richtig ausgerastet und mit 120 Sachen auf Menschenmengen losgefahren. Da haben dann auch Rentner Steine geschmissen, echte Bürgerkriegsatmo", sagt der Wirt, und geht noch rasch das Auto umparken.

Im schwäbischen Vaihigen wird auch Jahr für Jahr der Flößertanz neu inszeniert. "'s isch Maiedag!" Nun denn.

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