Montag, 7. Mai 2007

Endlich Regen! / Gefühle einer Dolmetscherin

Berlin, Regierungsviertel, das Haus einer politischen Stiftung. Der Gastgeber eröffnet die Tagung über "Afrika und der G 8-Gipfel". Er bedankt sich bei seinen afrikanischen Gästen, darunter die Premierminister von Togo und Niger, dass diese den langersehnten Regen mitgebracht hätten, denn es gab fünf Wochen lang keine Niederschläge.

Ich sitze in der Dolmetscherkabine und höre zu, wie meine Kollegin Kerstin diese Sätze überträgt.

Die afrikanischen Politiker nicken verständnisvoll.

Gleich bin ich dran. Dolmetschen ist ein geliebter Brotjob, den ich drei Tage im Monat ausübe. Er ist gut bezahlt (wenigstens: oft), er ist anerkannt (zumindest: meist) und er ist Dienstleistung pur. Es ist nicht immer leicht, mit den Sprachen zu jonglieren, wir haben Notizzettel mit Namen und Kürzeln dabei und inzwischen auch die Laptops mit direktem Netzzugang und elektronischen Wörterbüchern. Wir schreiben füreinander Worte und Zahlen auf, überwachen, ob die “Ko-Kabine” den richtigen Kanal einschaltet, oft wird mitten im Satz gewechselt, Schalten kostet Energie. Auch die Vorbereitung, sich mal eben in ein, zwei Tagen die Eckdaten des politischen und wirtschaftlichen Sachstands eines Landes oder ahnungshalber sogar eines ganzen Kontinents aufzuhelfen, ist toll und bietet mir eine schöne Gelegenheit, mein Talent zu Größenwahn und Kleingeistigkeit zeitgleich auszuleben. Größenwahn: Ich spreche mit allen Stimmen, ich sage immer "ich", wenn der zu Dolmetschende “ich” sagt, ich bin alt und jung, Mann und Frau, schwarz und weiß, Schauspieler, Regisseurin, Politiker, berühmter Schriftsteller oder Diplomatin. Kleingeistigkeit: Was ich nicht weiß an Worten, was mir im Alltag über den Weg läuft und mir komisch vorkommt, wird notiert, ich habe ganze Schuhkartons voll mit Vokabelkarteien, höre jeden Tag französisches Radio, habe immer was zum Schreiben dabei. Da ich es liebe zu lernen, ist das für mich ein sehr schöner Aspekt des Berufs.

Selbst der Stress hat sein Gutes, ich erlebe mich weniger kontrolliert, diese Art der Arbeit bringt sogar die Gnade vorübergehender Selbstvergessenheit. Was mir auch gefällt: Nach dem Einsatz bin ich frei von sonstigen Verpflichtungen. Vorher das Lesen-Notieren-Pauken, dann vor Ort das Dolmetschen, am Ende geht's nach Hause und gut is’. Kein Nacharbeiten, Lektorat, Nachbereiten, Besprechen. Und ich darf wortkarg sein. (Wer lacht hier?)
Dafür der Wechsel von Hochleistung mit hohem Adrenalinpegel - angeblich haben wir Dolmetscher so viel davon im Blut wie Piloten beim Start - und seelischer, geistiger, körperlicher Leichtigkeit. Nach einem solchen Arbeitstag bin ich kurz vor Trance: die meditative Stimmung 'danach' ist sicher das Schönste am Job.

Heute ging es auf der Tagung um wirtschaftliche Entwicklungen, Korruption und nebenbei auch um die Klimakatastrophe. In allen Bereichen wurde mir wieder deutlich, wie sehr alles mit allem zusammenhängt. Und wie wichtig das Handeln der Einzelnen ist.

Am Abend regnet es stärker. Es ist kühl geworden. Und wir erleben wieder Frühjahr nach den verfrühten Sommerwochen. Angeblich, so höre ich beim Nachhausekommen, seien schon 3/4 der Ernte durch die Trockenheit zerstört. Bald wird alles teurer. Ich beschließe, dieses Jahr privat keine Flugreise anzutreten und meine Glühbirnen alle durch "Energiesparleuchtmittel" zu ersetzen. Was für ein Wort.

Und wie zur Bestätigung trommelt der Regen weiter sein Tam-tam auf die Fensterbank aus Zinkblech.

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