Samstag, 26. Mai 2007

NK-/Xberg-Parlando zum Thema Essen

Die sommerliche Stadtlandschaft von Nord-Neukölln hat sich, verglichen mit den letzten Jahren, stark verändert. Zumindest direkt an der Grenze zu Kreuzberg. Cafés und Restaurants stellen Tische und Stühle vor die Tür, auch an die Uferseite, auf den Bürgersteig, für den Wasserblick. Es sind wesentlich mehr Spaziergänger unterwegs, junge Leute, aber auch Touristen. Der Landwehrkanal ist nicht mehr die trennende Grenze. Auf der Ohlauer Brücke steht wieder Carsten, der Schauspieler, mit seinem Eiswagen, ab und zu besucht von seiner Frau und der inzwischen 5-monatigen Tochter.

Auf dem Landwehrkanal sind wie jeden Sommer die Sight-seeing-Schiffe unterwegs, aber sie fahren derzeit meistens nur in eine Richtung. Der Bootssteg an der Kottbusser Brücke ist Mitte April teilweise ins Wasser gebröckelt - und nun wird nicht nur hier saniert, an der ganzen Uferkante könne es jederzeit losbrechen, so das Ergebnis einer Untersuchung. Einst, als die Stadt sich an der Stelle der Stadtbefestigungen und der Schlachtfelder einen Bahnring und einen Kanal baute, um die Versorgung der Stadt auch mit Baumaterial zu erleichtern, war an solchem gespart worden. Aufwändige Bauarbeiten zur Befestigung des Kanals stehen bevor, die bis zu 200 Bäume kosten wird.

Sonst weiß ich nichts Neues aus NK, wie Neukölln immer häufiger genannt wird, oder aber "Kreuzkölln" wegen der von 'drüben' langsam in den unseren Bezirk diffundierenden Bevölkerung. Nur Kreuz(X)berg ist weiterhin in den Schlagzeilen. Nein, kein erster Mai mit seinen "Deeskalationswürstchen" für zwei Euro, auch keine "Kübel" auf Edelrestaurants wie in den 80er Jahren. McDonald eröffnet hier eine Filiale. Der Schnellbräter, der am Kreml und in der verbotenen Stadt in Beijing vertreten ist (für Peking verbürge ich mich höchstpersönlich), McDo also hatte in Xberg bislang noch keine Niederlassung.

Das ist nun anders und die Kommentatoren der Gazetten überschlagen sich. Es ist nicht das ungesunde Essen allein, das aufregt, derlei "können" auch viele Schnellimbissbuden. Die Lebensmittelindustrie mit ihren Abholzungen in Schwellenländern, die Sojaplantagen, die Massenaufzucht von Schlachtvieh, die Arbeitsbedingungen in den Restaurants werden hier wieder diskutiert. Das ist neu, Kreuzberg mit seiner Alternativkultur hatte das Thema längst ad acta gelegt. In der Kantine der Regenbogenfabrik, eines der alternativen Projekte, das vor ziemlich genau 25 Jahren mit einer Hausbesetzung begann, sieht man die Sache weiterhin gelassen: 'Außer Touris und ein paar verzweifelten Kids aus veganen WGs, die sich dort aus Protest treffen werden', bliebe der Ort sicher leer.

Eigentlich habe ich bislang nur übers Essen geschrieben. Und bin geneigt, dem einen Schlenker hinzuzufügen. Und von Gesprächen zu berichten, die vorhin auf einer Parkbank am Landwehrkanal geführt wurden. Daran beteiligt: Drei Akademiker von um die Mitte Dreißig/Anfang vierzig. Sie sitzen hier bei Carstens wunderbarem Eis, weil die Caféterrasse am Ufer für sie zu teuer ist. Sie leben von Lektoraten, gelegentlichen Jobs im gelernten Beruf, Re-writing - und hoffen auf eine Perspektive an der Uni. Deshalb verdingen sie sich dort als akademische Tagelöhner, unterrichten zum Teil seit 10 Jahren und bei ewig unklaren Perspektiven. Nun erwägen sie, mit anderen zusammen zu streiken. Aufhänger ist die Mindestlohndebatte. Was wollen sie? Nichts als den Mindestlohn - 7 Euro 50 für jede effektiv gearbeitete Stunde.

Lehrbeauftragte an deutschen Hochschulen erhalten (im geisteswissenschaftlichen Bereich) das gleiche Geld wie vor 40 Jahren: Um die 40 Mark. Ca. 20 Euro für die gehaltene Einzelstunde, der oft sechs, acht Stunden Vor- und Nachbereitung gegenüberstehen. Wer dann noch Bücher selbst kauft, weil die Berliner Bibliotheken "sparen" müssen und auch sein Fahrgeld selbst zahlen muss, steht am Ende mit einem Euro je Arbeitsstunde da. Ein Streik wäre da kein enormer Verlust. Nur für die Unis: an Berliner Hochschulen kommen inzwischen 30 Prozent der Angebote von freien Mitarbeitern.

Erst kommt das Fressen, dann die Moral - mir geht's genauso. Einen Tag die Woche zahlt der Staat mir genau das, was mich "mein Schreibtisch" an genau diesem Tag kostet, also die Miete für mein Arbeitszimmer, das Telefon, die Abschreibung des Rechners, die Druckertinte. Mehr nicht. Die anderen Lehrbeauftragten, sie wohnen in ein- bis anderthalb Zimmerwohnungen in billigen Kreuzberger und Neuköllner Wohnungen, fahren zu Monatsende auch mal Taxi oder geben Zehlendorfer Gören Musikunterricht. Oder Leuten vom Potsdamer Platz Privatunterricht in Wirtschaftschinesisch - für 60 Euro die Stunde.

Die Einführung des Mindestlohns führte bei den Lehrbeauftragten, rechnet man für jede gehaltene Einzelstunde einen ganzen Arbeitstag, zu einem Honorar von 1.440 Euro (im kürzeren Sommersemester); derzeit gezahlt werden für zwei Semesterwochenstunden und 12 Wochen um die 500 Euro. (Im längeren Wintersemester wären es 1.920 statt 680 Euro.)
Und hier sind wir nur beim sozialen Mindestlohn, den auch Ungelernte beanspruchen, noch nicht bei Entlohnungen, die Studium und Berufserfahrung berücksichtigen.

Wundert sich in Deutschland noch einer über PISA? Bon appétit !

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