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Dann fröhliches Weihnachtsmarkttreiben an einer viel zu breiten Montmartre-Treppe, Blumen- und Luftballonverkäufer, Passanten, Kinder, die Reifen treiben, kapriolenschlagende Artisten, Feuerspeier und Feuerwerker. Viel hilft viel, mag sich da jemand gedacht haben, eine Attraktion ist aufmerksamkeitsheischiger als die nächste, kurz: Ein Bühnenbild wie das funkelnde, blinkende, sich bewegende und übervolle Weihnachtsschaufenster der Galeries Lafayette oder eines anderen grand magasin mit seinem unregelmäßigen Rand aus Sprühschnee und der Menschentraube davor, notabene aus Winzlingen, die sich hier die Nase an der Scheibe plattdrücken.
Dann ein Bild mit Stadtmauer, Marktweibern, Gensd'armes, einer Kneipe von außen und fröstelnden Februargestalten mit Liebeskummer, alles weiter derart pittoresk, als hätte heimlich Spitzweg Pate gestanden. Im Schlussbild wanderte das Atelier mit seinen großen Scheiben in den Keller, wurde zu einem Raum ähnlich einer Tiefgarage mit übergroßem Abluftrohr - und, als wäre das zu gewagt gewesen, standen hier wie zuvor historisierende Requisiten im Bild herum.
Warum nicht das Stück nach heute transferieren? Ein Bühnenbild wie ein Puppenhaus oder ein angedeutetes solches. Nicht bespielt: der Atelierraum, den sich ein Besserverdiener gesichert und modern möbliert hat. Teils daneben, teils darüber, in der Mansarde, über zwei Stockwerke Dienstbotenkammern,
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Die "Stickerin" Mimi malt allerhöchst dekorative Blumen, Kaufhauskunst in hoher Auflage, hyperrealistisch. Wie viel Prozent bildender Künstler leben von dem, was sie machen? Der Autor unter den Bohémiens klappt, als er noch einen Artikel fertig schreiben muss, selbstredend seinen Apple-Computer auf, denn an Technik wird nicht gespart, die Kommunikation mit der Außenwelt ist auf dem neuesten Stand, Standards werden in den Dienstbotenkammern gesetzt. Entsprechend bilden eben jene Künstler die tableaux vivants der Weihnachtsschaufensterdekoration, schlüpfen in historisierende Roben, stellen ihresgleichen dar, Maler und Bildhauer und Schriftsteller, während sie im Schaufenster des grand magasin (in dem ein Caféhausleben abgebildet ist) für Animation sorgen - und für den Fortbestand sämtlicher Paris-Klischees.
Am Ende haben sie nicht einmal ihre enge Bleibe unterm Dach retten können. Sie malen jetzt die Wanddekoration für ein Restaurant, im Hintergrund sieht man überfettete Wänster genüsslich speisen.
Warum nicht den Kunstbetrieb karikieren, anstatt dem feinen Bürgertum ein antiquiertes "Bild" künstlerischer Existenz vorzuführen, das schon damals in kürzester Zeit zum Klischee geronnen war? So, wie die Inszenierung jetzt ausschaut, habe ich den Eindruck, dass sie sich über die materielle Armut von Künstlern lustig macht. Und die ist für viele nicht erst seit 1896, dem Jahr der Uraufführung von Puccinis La Bohème, aktuell ...
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Zum 2. Bild: Nach etwas Recherche finde ich etwas, das zumindest von der Architektur her in die Richtung geht, in die ich dachte, das Bühnenbild der Metropolitan Opera New York, so, wie die Inszenierung am 5. April 2008 live vom NRD übertragen wurde.
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