Welthandel hat mit Bildung zu tun, dies stellten gestern die Teilnehmer am 5. Weltlehrerkongress in Neukölln fest. Denn um Welthandel zu treiben, muss der Mensch gebildet sein. Aber Bildung wird zunehmend zur Ware - und diese Entwicklung könne das hohe Gut Bildung als Menschenrecht demokratischer Gesellschaften gefährden, so die Pädagogen.
Die zunehmende Privatisierung der Bildung wird nicht nur von Lehrern, auch von der Welthandelsorganisation (WTO) mit großem Interesse verfolgt. Hier stehen Bildungsdienstleistungen auf dem Programm einiger Länder, die diesen Sektor am liebsten liberalisiert, das heißt zum Markt erklärt wüssten. Laut OECD ist der Bildungssektor zwei Billionen US-Dollar jährlich "schwer". Nur ein Fünftel davon wird bislang von privaten Anbietern umgesetzt. Die Weltwirtschaft diskutiert das Thema im Rahmen der GATS-Verhandlungen.
Rücksprung in der Zeit: Seit der Nachkriegszeit verhandeln die Völker miteinander über den Abbau von Handelshemmnissen. Unter der Bezeichnung GATT (General Agreement on Tariffs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) entstand in Ergänzung zum Internationalen Währungsfonds ein Welthandelssystem, das stabil und global vernetzt sein sollte, um weitere kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Völkern zu verhindern. Die Verhandlungen finden in sogenannten "Runden" statt, die jeweils nach dem Ort benannt werden, in dem die Gespräche wieder aufgenommen wurden. Die letzte "Runde" führte 1995 zur Gründung der WTO. Für die Zustimmung der beteiligten Länder setzten die Entwicklungsländer ihren Wunsch nach Einbeziehung von Landwirtschaft und Textilindustrie durch; die Industrieländer verfochten die Einbeziehung der Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) und den Schutz geistiger Eigentumsrechte (Agreement on Trade Related Intellectual Property Rights, TRIPS) und (TRIPS). Die WTO ruht demnach auf drei Säulen: GATT, GATS und TRIPS.
Wichtig ist zu wissen, dass diese Entwicklung aufgrund der internationalen Verträge sich nur in Richtung zunehmender Liberalisierung gehen kann. Die Vertragsstaaten erhalten mit der Unterschrift durch die Länder die Zusage der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung, was bedeutet, dass alle, die am Marktgeschehen eines anderen Landes teilnehmen möchten, einen Anspruch nicht nur auf die günstigsten Handelsbedingungen des jeweiligen Landes haben, sondern auch den inländischen Anbietern gleichgestellt werden müssen. Ist ein Freihandelsvertrag einmal unterzeichnet, können einmal gewährte Freiheiten im Dienstleistungsbereich nicht mehr zurückgenommen werden. Ein entsprechendes Gericht wird auf Anfrage dann den Vertragsbruch ahnden; die Benachteiligten können auf Ersatzleistungen pochen.
Derzeit stagnieren die Verhandlungen im Landwirtschaftsbereich der aktuellen Runde, der "Doha-Round". Daher ist jetzt Bildung in den Focus der Liberalisierungsverhandlungen geraten. Bildung, Ausbildung, Erziehung und Erwachsenenbildung sind schon heute zum Teil ein privater Markt: Von EI-Kitas über Reit- und Sportschulen über konfessionell gebundene Schulen bis zu Berufsakademien oder Privatunis wie Witten/Herdecke reicht in Deutschland das etablierte Spektrum. In den letzten zehn Jahre wuchs die Zahl der Privathochschulen von 14 auf über 60, Schulen, die vor allem Manager ausbilden. Bekanntestes Beispiel ist sicher die 2006 im ehemaligen Staatsratsgebäude am Berliner Schlossplatz eröffnete "European School of Management and Technology" (esmt).
Die EU hat 1995 bei den GATS-Verhandlungen bereits ihre Bereitschaft erklärt, private Bildungseinrichtungen für den Freihandel zu öffnen.
Doch wo "privat" anfängt und "staatlich" aufhört, ist nicht genau festgelegt. Immer häufiger werden Bildungseinrichtungen durch Stiftungen und Sponsering unterstützt. Könnten nicht auch Studiengebühren als private Bildungsinvestitionen gewertet werden? Und privatwirtschaftliche An-Institute, die in Grundlagenforschung investieren? Viele Kunst- und Fachhochschulen finanzieren seit Jahren ihren Lehrbetrieb durch kommerzielle Angebote quer, zum Beispiel Kompaktkurse für die Wirtschaft oder Aufbaustudiengänge.
Das Ansinnen der Verhandlungspartner, dass auch Europa die Öffnung staatlicher Einrichtungen unterzeichnen möge, könnte sich als Bumerang erweisen. Denn alle Richtlinien und Vorschriften gelten als „Handelshemmnis“, die sicherstellen sollen, dass Schulen und Hochschulen Qualität anbieten und eigenen Charakter aufweisen - zum Beispiel durch Gesetze und Lehrpläne, die regionale Geschichte berücksichtigen, Lehrerausbildung kontrollieren und Curricula festlegen. Europäische Staaten beaufsichtigen natürlich auch private Schulen und Universitäten, um Qualität sicherzustellen. Erfahrungen mit Nachhilfe per Internet gibt es bereits; Kinder in den USA haben Lehrer in Indien, die sie nur per Chat kennen. Etliche private Schulanbieter aus Europa würden auch gern in Europa tätig werden - so, wie nordamerikanische Firmen schon in südamerikanischen Staaten auftreten, die den Vertrag auch zur Öffnung des öffentlichen Bildungswesens bereits unterzeichnet haben.
Ein in dem Kontext entstehender Markt ist die Evaluierung und Beratung von Schulen - PISA in privater Hand mit konkreten marktwirtschaftlichen Empfehlungen. Jeder Anbieter, der in seinem Herkunftsland eine Lizenz erhalten hat, bekäme durch den nächsten Schritt der Liberalisierung hierzulande die gleichen Rechte erhalten wie angestammte Einrichtungen - inklusive der Vorteile und Subventionen. Denn diese stellen aus der Perspektive des nichtregulierten Welthandels einen den Markt verzerrenden Eingriff in den freien Wettbewerb dar.
Wie gesagt, je nachdem, welche Definition angewandt wird, sind viele der öffentlichen Bildungseinrichtungen längst private Institutionen, die unter die GATS-Verträge fallen. Bislang hat es noch keine Konflikte gegeben. Das Szenario, das Fachleute für einen sich verschärfenden Wettkampf entwerfen, ist düster: Das Verbot der Schlechterstellung ausländischer Wettbewerber könnte dazu führen, dass die Staaten gezwungen wären, auch ihnen Subventionen zukommen zu lassen. Die Mittel für Bildung sind überall begrenzt, das Geld würde sich also auf mehr Einrichtungen verteilen, das Niveau der öffentlichen Einrichtungen sinken, die Forschungsfreiheit wäre bedroht. Bis zu dem Moment, in dem das vergrößerte Angebot ein Argument für die Regierungen sein könnte, sich stärker aus dem Bildungssektor zurückziehen. Dabei drohte eine Konzentration der Bildung und Forschung auf marktgängige und industrierelevante Studiengänge - zum Nachteil der gesellschaftswissenschaftlichen, sozialen und künstlerisch ausgerichteten Bildungsangebote.
Die Freihandelsverträge haben zu einer langen Phase relativen Friedens auf den Territorien der entwickelten Staaten geführt. Der Krieg, so scheint es hat sicher verlagert, manche nennen ihn heute "Globalisierung". Seit 1997 gibt es in Paris bereits eine Schule, die sich mit ihren Begleiterscheinungen beschäftigt, eine Privatschule mit dem bezeichnenden Namen "ecole de guerre économique", auf Deutsch: Schule für Wirtschaftskrieg.
Mittwoch, 25. Juli 2007
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