Heute am Maybachufer: Der Fischhändler verkauft mir eine Scholle, legt Eis drauf, packt sie in Folie ein, wickelt eine Zeitung drum. Beim Runtertragen des Altpapiers fällt mein Blick auf einen Artikel dieser Zeitung, es war der "Tagesspiegel" vom 23. April 2997, Wirtschaftsseite. Unter "Topvolkswirte zieht es ins Ausland" steht hier unter anderem: "Nach ihrem Volkswirtschaftsvordiplom ging Stephanie Schmitt-Grohé Ende der achtziger Jahre an eine kleine amerikanische Uni (...) Zu unattraktiv erschienen ihr die Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen. (...) Die 40-jährige gehört zu einer wachsenden Gruppe von deutschen Ökonomen, die ihr berufliches Heil in der Fremde suchen. Mehr als 120 Wirtschaftswissenschaftler haben dem Land den Rücken gekehrt, zeigt eine Untersuchung des „Handelsblatts“. Damit arbeitet mindestens jeder zehnte deutsche Hochschulvolkswirt außerhalb der Landesgrenzen. (...) Vor allem junge, erfolgreiche Forscher verlassen das Land. Von den 100 forschungsstärksten Ökonomen unter 45 Jahren arbeitet jeder zweite an einer ausländischen Universität. (...) Auffällig ist: In den fünf angesehensten ökonomischen Fachzeitschriften der Welt sind Deutsche, die im Ausland arbeiten, deutlich häufiger vertreten als ihre heimischen Kollegen. „Unsere Studenten sind heute international konkurrenzfähig“, sagt Friedrich Schneider, Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, einer wichtigen Vereinigung von VWL-Professoren."
Berichte wie dieser stehen inzwischen nahezu täglich in deutschen Gazetten. Und der beschriebene brain drain wird immer wieder als Grund genannt, weshalb wir jetzt unsere Hochschulen wieder attraktiv gestalten müssen. Dies soll mit dem Umbau auf Bachelor und Master geschehen.
Als logisch denkender Mensch habe ich da Fragen. Wieso soll unser Hochschulsystem so schlecht sein, wenn so viele Absolventen derart begehrt sind? Warum schafft es das angeblich überlegene amerikanische System nicht, seinen eigenen Nachwuchs auszubilden? Weshalb sprechen wir hier dauernd von "Bachelor" als Hochschulabschluss, der, soweit ich weiß, in den USA gleichbedeutend ist mit dem unserem Abitur?
Denn dort ist die high school eher mit unserer Gesamtschule zu vergleichen - und der Abschluss ist ein high school diploma, die Absolventen sind meist 16 bis 17, wenn sie das erlangen. Danach geht es aufs college, das unserer gymnasialen Oberstufe entspricht. Der dort nach zwei Jahren erworbene Abschluss, der bachelor, wird an der Pariser Sorbonne in den 80er Jahren mit dem französischen baccalauréat gewertet, der Abiturient heißt auf Französisch bachot, die Ähnlichkeit findet sich sogar im Wort wieder. Auch in Nordamerika geht es erst danach weiter mit einer weiterführenden Bildungseinrichtung, der university oder einer anderen "Schule" des Privatsektors.
Paradox, aber wahr: an manchen dieser teuer zu bezahlenden Eliteschulen wird jetzt darüber nachgedacht, ein Studium generale vorzuschalten und Diplomstudiengänge nach deutschem Vorbild zu begründen. Hier werden die Gebrüder Humboldt heftig diskutiert, die einst mit dem Begriff „Einheit von Lehre und Forschung“ die deutsche Hochschullandschaft modernisiert hatten. Dazu hatte einst auch die Einheit der Lehrenden und der Forschenden und die Einheit von Theorie und Praxis gehört, letztere war im universitären Alltag ohnehin schon fast nicht angekommen. Zum Forschen gehört indes auch der Irrweg, das Querdenken, das Verwerfen von möglichen Lösungswegen, kurz: das Scheitern. Und dafür braucht es Zeit und Müßiggang, beides sieht die starre Studienordnung nicht mehr vor.
Die Umstellung auf "Bachelor" und "Master" empfinden vor allem jene als Studienzeitverkürzung, die schon selbst erleben durften, dass mit dem ersten Abschluss der Rechtsanspruch auf BAFÖG endet. Und wenn ich an die Idee eines "Lehrprofessors" mit 18 Semesterwochenstunden und ohne Forschungsaufgaben denke, muss ich feststellen: Hier wird Humboldt'scher Geist mit dem Eisenbesen aus deutschen Hochschulen rausgekehrt. Die gleichen Regierenden, die überdies Studiengebühren fordern, fördern daneben die Gründungen privater Eliteschulen, meistens im Managementbereich, hier engagieren sich selbst arme Länder mit dreistelligen Millionensummen in der Startphase - wir haben ja hier "Nachholbedarf".
Anstatt auf der Basis unserer Geschichte und Erfahrungen das System universitärer Ausbildung zu modernisieren, schielen wir weiter auf die USA. Bei mündlichen Verhandlungen von Anträgen, so wurde mir von Kollegen berichtet, hätte man nach Auslandsaufenthalten gefragt. "Ja, war die Antwort, Frankreich und Italien!" Das Gegenüber wollte das aber nicht gelten lassen: "Sie wissen schon, wir meinen, ob sie auch in den USA waren?"
Oder geht's wirklich nur um die Ökonomie? "WIR haben unsere Leute ausgebildet, die WIR auch behalten wollen ...!?" Wenn das Niveau der deutschen Unis sinkt, werden unsere Absolventen fürs Ausland bald weniger Interessant sein. Es ist, als würden wir eine Berliner Mauer um das Erbe der Humboldts errichten, das scheinen wir als Industrieland nötig zu haben.
Das wäre auch eine Art, den brain drain zu stoppen ...
Freitag, 20. Juli 2007
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