Sonntag, 28. Oktober 2007

Altes und Neues im Gropius-Bau

Gestern Abend im Gropiusbau. Kaum bin ich wieder in Neukölln, verlasse ich es wieder ...

An der Grenze von Kreuzberg zu Mitte, face à face mit dem Preußischen Landtag, in dem heute der Berliner Senat tagt, liegt der vermutlich wichtigste Berliner Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst und Fotografie, der sich durch Stetigkeit seit seiner Eröffnung in Westberliner Tagen diesen Platz erobert hat. Das Gebäude selbst, italienische Renaissance aus der Zeit des ersten deutschen Einheitsstaats, besticht durch ein gelb bis rostrotes Farbenspektrum mit feuer- und ziegelroten Steinen, Fayencen, floralen und figürlichen Darstellungen. Es war als Kunstgewerbemuseum und -schule geplant und wurde zum Glück ab den späten 70er Jahren restauriert.

September 1989 war ich das erste Mal mit meinem Vater dort. Damals diente der Seiteneingang als Haupteingang, und vor der doppelten Haupttreppe mit überdachtem Vorbau stand die Mauer und verstellte den Blick auf den Preußischen Landtag. Jetzt bin ich wieder mit meinem Vater hier, die Mauer ist lange schon weg, an den Nebeneingang erinnern sich nur noch wenige.

Wir sehen: Atget, Pariser Bilder von kurz vor der Jahrhundertwende bis in die Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Und eine Vernissage - vom "Funken zum Pixel" zu neuer Medienkunst.

Atget hat Ecken der Stadt Paris fotografiert, die oft heute verschwunden sind. Er ging dabei systematisch und dokumentarisch vor, bildete "Menschen vor ihren Ladengeschäften" ab und dabei die Bandbreite des damaligen Handels. Das ist aber eine Reihe, die untypisch ist. Menschen kommen bei Atget nur am Rande vor, wie die "zonards" einer anderen Serie, die Underdogs der Stadtrände, die in Blechhütten und Wagen hausen. Meistens bildet er windschiefe, feuchte Häuser ab, die Gebäude von vor der Haussmann-Ära, oder er inventarisiert die Stuckdecken und Marmorkamine der Pariser Palais. In etliche Straßen kehrt er nach zwanzig Jahren noch einmal zurück, und wir sehen das Werk der Zeit: Läden wurden geschlossen, die Wände haben Flecken, hier gibt es plötzlich eine neue Durchsicht, dort steht plötzlich ein Automobil.

Überhaupt sieht Paris ohne Autos abstrakt aus. Und es ist fast menschenleer: Atget war Frühaufsteher, das Morgenlicht ist eindeutig; oder aber ein Bild heißt "Quai soundso ..." (auf der Ile Saint Louis), "... an einem Sonntagvormittag". Beruhigend, dass sich die Gewohnheiten der Pariser so wenig verändern.

Was mir bei Atgets urbanem Inventar, das er an Maler und Archive verkaufte, am besten gefiel: Die Intérieurs verschiedener gesellschaftlicher Schichten und die Inschriften der Werbeplakate für chininhaltige Alkoholika (aus Chinarinde) - einst ein Medikament gegen Malaria, war derlei damals als Apéritif "in". Slogan: "Qui le boit, l'adopte. Qui l'adopte, bien se porte!" - Sinngemäß: "Wer ihn einmal trinkt, trinkt ihn regelmäßig. Wer ihn regelmäßig trinkt, ist fit!" Alkohol plus Wellness, schon damals.

Es sind Originalabzüge ausgestellt, die Mitnahme einer Lupe empfiehlt sich für die Details. Die Ausstellungsmacher hätten einige große Vergrößerungen um eine Sitzbank herum anordnen können, kritisiert mein Vater am Ende in Museen verbrachten Woche.

Mein Lesetipp, der über die Ausstellung weit hinausgeht: Atget Paris, Bibliothèque Nationale/Hazan, 1992

Eine andere Zeitreise verspricht die Ausstellung "Vom Funken zum Pixel". Wir waren zur Vernissage da - und enttäuscht. Viel Flirren, viel Effekt, einige schöne und witzige Exponate, doch das meiste zu banal, vor allem in seiner Zusammenstellung. Hier korrespondiert wenig miteinander, wird keine These durch Antithese(n) hinterfragt, überhaupt scheint hier an allen Ecken ein Problem vieler zeitgenössischer Arbeiten durch: Sie wollen gefallen, sind beliebig in der Aussage, selten politisch und schielen auf den Markt, arbeiten dabei mit billigen und fragwürdigen Effekten. Nur manches gefiel uns durch den Unterhaltungswert oder die Grenzerfahrung, wie die überdimensionierte Petrischale mit elektronischen Würmchen drin, die durch Elektrizität und Licht wuchsen, sich veränderten und die eigene Retina mit ihren Reaktionen auf Lichteffekte an die Grenze des Aushaltbaren führte. Das Publikum liegt dazu auf dem Boden und lässt das schwindelerregende Lichtspiel über sich ergehen.

Die angekündigten "neuen Positionen" von Kunst und Medienkunst fanden wir nicht, stattdessen elektronische Lagerfeuer, Lichtdecken wie aus der Disko, eine 3-D-Installation zu indischen Kultstätten, die so auch im modernen Tourismusbüro stehen könnte.

Das überzeugendste Werk war von 1975: eine Kerze, von Nam Jun Paik in die Hülle eines Fernsehgeräts gestellt.

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