Zwei Franzosen laufen einander über den Weg. Sagt der eine: "Pardon!", sagt der andere: "Pardon!"
Was ist hier los? Zunächst müssen Sie wissen, dass wir in einem schmalen Treppenhaus sind oder an einem anderen nicht sehr geräumigen Ort. Der eine lässt den anderen vorbei und entschuldigt sich dabei für die Unbequemlichkeit, die er durch seine physische Anwesenheit unglücklicherweise dem anderen bereiten muss, dem er in die Quere gekommen ist. In Städten wie Paris, wo besonders viele Menschen auf engem Raum leben, ist das noch leichter verständlich. Hier ist jeder Moment des Alleinseins eine Ausnahme, deren Unterbrechung scheint schon mal eine Entschuldigung wert. So mutet es nur für Ausländer komisch an, dass sich alle Franzosen, auch die aus der Provinz, anstatt einander freundlich einen guten Tag zu wünschen, wie es alle gesitteten Völker dieser Erde tun, möglichst leise für ihre Gegenwart entschuldigen. Vorausgesetzt natürlich, sie kennen sich nicht.
Aber auch Franzosen entdecken in Deutschland Merkwürdiges. Zwei Deutsche laufen einander über den Weg. Sagt der eine: "Mahlzeit!", sagt der andere, "Mahlzeit!"
Was ist hier los? Zunächst müssen Sie wissen, dass der Vormittag schon fortgeschritten ist, die Uhr zeigt mindestens halb zwölf. Und wahrscheinlich ist der Tag ein Werktag, das heißt, unsere Probanden begegnen einander auf dem Flur eines Unternehmens oder auf dem Weg in Restaurant und Kantine. Die beiden Menschen sind der lebende Beweis dafür, dass in Deutschland der Tag beizeiten beginnt. Je tiefer man in Verwaltung und Fabrik hineinkommt, je tiefer wir in den Osten gelangen, desto früher beginnt der Arbeitstag. Wenn die Sonne im Zenith steht, verlangt der deutsche Magen nach kräftigem Essen. Und man wünscht sich "Gesegnete Mahlzeit!", nur dass eben das "gesegnet" mit der Zeit verloren gegangen ist.
Um nachzuspüren, wie das auf Menschen anderer Länder wirkt, genügt es, das "Mahlzeit" einfach in eine andere Sprache zu übersetzen. Stellen Sie sich mal zwei Briten vor, die einander mit ernstem Gesicht ein "Meal!" zuraunen - ist doch komisch, oder?
Sonntag, 3. Dezember 2006
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1 Kommentar:
Diese Franzosen! Mir wurde in der Schule beigebracht, dass sie sich gegenseitig mit "ca va?" - "ca va!" grüßen. Das sind dann vermutlich jene, die sich schon kennen, oder? (wie man sieht, hatte ich bisher leider nur peripher mit Franzosen zu tun. Das soll sich aber ändern!)
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