Hier ist überhaupt nicht alles nett. Wir sind an der Grenze zu Kreuzberg.
Noch sind die meisten Polizeiwagen in Berlin grün, die Stadt ist zu arm, um sie auf die neue Polizeifarbe umspritzen zu lassen, und genauso grün ist regelmäßig der Weg über die Brücke nach Kreuzberg. Meine Buslinie fährt seit Wochen unsere Nachbarschaft nicht mehr an. Asylbewerber halten eine Schule besetzt, davor stehen die Vertreter der Staatsmacht und sehr oft auch verschiedene Gruppen und Grüppchen von Demonstranten. Regelmäßig kommt es zu Platzverweisen und Festnahmen. Die Polizei reagiert ungewohnt brutal, die Nerven der Beamten sind zum Zerreißen gespannt.
Neben den Grünen haben wir auch Herren und Damen in blauer Uniform vor Ort sowie in schwarzer, letzere tragen Helme mit Visir. Ich schließe daraus, dass sich hier Polizisten vom Land, vom Bund und überregionale Eingreiftruppen Hand in Hand arbeiten. Es sind immer zwischen 500 und 900 Beamte anwesend. Neulich konnte ich nicht zum Yoga, denn ich hatte nur meinen Pass, nicht aber meinen Ausweis dabei (nur im Personalausweis steht die Meldeanschrift). Ich konnte nicht glaubhaft machen, dass ich Anrainerin bin.
Eben Schüsse, dann ein Geräusch wie von einer Explosion. Die Passanten auf der Straße wenden nicht einmal den Kopf. Es sind Schüler, Studenten, Leute mit Migrationshintergrund, Flaschensammler, der Alki aus dem Nebenhaus und der Arbeitslose aus der nächsten Querstraße. Alle scheinen sich an die Geräuschkulisse gewöhnt zu haben. Dann minutenlanges Hupen. Dann stauen sich die Autos in der Straße, offenbar sind jetzt andere Zuwege abgesperrt. Wieder Martinshörner, gleich mehrfach, in alle Richtungen.
Dann kommt der Hubschrauber. Der Sound der ghetto birds ist hier täglich zu hören. Und die Geschäftsinhaber der Nachbarschaft berichten davon, dass ihre Umsätze bis um 80 % zurückgegangen sind.
Wir sind ein Gebiet, das mitten in der Gentrifizierung steckt. In der Nachbarschaft, pinselsanierter, umgewandelter Sozialwohnungsbau, verteuerten sich die Kaufpreise der Wohnungen um mehr als 400 % (*). (Etliches wartet unverkauft oder als Ferienwohnung auf neue Bewohner). Die Vormieter mussten ausziehen, sogar eine Rollstuhlfahrerin wurde rausgeschmissen. In einem anderen Haus wurde gerade der Galerist aus seinen vier Wänden geklagt. Er hat um die 650 Euro Miete gezahlt. Für Nachmieter wird's teuer:
Nein, Neukölln ist nicht schick. Und den Begriff "Kreuzkölln" haben die Damen und Herren von der Immobilienverwertung erfunden, um die Preise zu treiben.
Ohlauer Straße, ruhige Wachablösung |
(*) ... zwischen Erstverkauf als Gesamtgebäude und Verkauf als Eigentumswohnungen der Luxusklasse, angeblicher Erstbezug und in Kreuzberg, so angezeigt bei den stadtbekannten Portalen. Die Beweise habe ich gesichert, Herr Anwalt.
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Foto: C.E.
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