Freitag, 3. Oktober 2008

Jahreszeitlos in Nordneukölln

Seit Tagen wird das Licht heller und heller, so schön, dass man allein vom Hingucken besoffen werden könnte. Ebenfalls seit Tagen balzen die Blaumeisen, und sähen nicht die Erlen auch noch so aus, als wollten sie bald blühen, würde ich mir diese Einleitung verkneifen, deren Echo mal wieder lautet: Jahreszeiten- und Wetterchaos. Während auf Schwarzwald- und Gebirgshöhen der Winter da ist, reisen Kindergarteneltern in den bunten Herbst, und kinderlose freelancer planen ihren Restsommerurlaub. Am 11.8. um 18.52 Uhr ging die Regenzeit in Berlin los, gefühlter Höhepunkt: das letzte Augustwochenende. Isabelle aus Paris hatte sich hinter vielen Büchern auf meinem Sofa verschanzt und ward verschwunden, bis sie nach Stunden einmal kurz aufsah, sich die vorbeiziehenden Regenvorhänge besah und seufzte: 11 novembre ! (An diesem tradtionellen Lese- und Zuhausebleibtag gedenken die Franzosen des Endes von WW I - und wissen oft gar nichts von 11 Uhr 11.)

Die Zeit strukturieren daher auf Schönste die beiden großen Berliner Stadtmagazine mit Ausgehtipps und Kritiken. "Neukölln rockt" stand da vor einiger Zeit sogar auf dem Titelblatt - und beschrieb einmal mehr den Wandel Nordneuköllns zum inzwischen-nicht-mehr-Geheimtipp. Doch scheint der Kiez schwer zu finden zu sein. Letztens wurden von der einen Zeitschrift fünf Gastrokritiker in die Gegend ausgesandt, um die kulinarischen Höhepunkte "Kreuzköllns" ausfindig zu machen, im aktuellen Heft schwarz auf weiß der Beweis, dass die überwiegende Mehrheit gar nicht bis Neukölln durchgedrungen ist, den Kiez also gar nicht verorten konnte. Oder haben sie die Aufgabenstellung nicht richtig gelesen? Es handelt sich bei den Kritikern allesamt um Kollegen anderer Zeitungen, vermutlich festangestellte Kollegen, deren Ergüsse man nicht moniert - oder aber es sind Kurzbesuche von Gästen in Textform, und wer wird schon am Geschenk rumkritteln?

Ansonsten ist der Kiez als wie zuvor, ein wenig zu laut in seinem Auftreten, überraschend, gebastelt, heterogen, was Alter, Herkunft und soziale Schicht angeht und stellenweise sogar schön.

Was indes auffällt: Es ist hier immer häufiger Französisch zu hören. Durch die deutsch-französische Grundschule, die seit einigen Jahren aufgebaut wird, ziehen Menschen der Frankophonie gerne in den Bereich zwischen Maybachufer und Sonnenallee, denn für den weiterführenden Unterricht ist auch die deutsch-französische Europaschule im Rollbergkiez nicht weit. Es sind weniger die schon lange in Berlin wohnenden Franzosen, die ihre angestammten Vierteln mit den entsprechenden Schulen nicht verlassen, denn Menschen aus französischsprachigen Ländern und junge Franzosen, für die der alte Westen nicht selten zu teuer ist. So wird Neukölln bunter, und das ist wunderbar so.
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Foto: Links Neukölln, rechts Kreuzberg. Kreuzkölln ist also eigentlich nur hier, auf der Brücke. Und die Natur macht wieder Frankreich-Werbung ;-)

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