Samstag, 22. Mai 2010

Typisch Berlin?

Vor zwei Wochen kam ich mit Journalistikstudenten aus Bordeaux zusammen, die in Berlin für Kulturreportagen recherchierten. Ihre sehr sehenswerten Ergebnisse stehen in Bild, Ton und Wort auf dieser französischen Webseite zum Abruf bereit (leider nur in französischer Sprache): BerlinKulturLab.

Natürlich gebe ich in solchen Momenten nicht nur Wissen weiter, sondern frage auch gegen. Am meisten überrascht habe sie, so erklärten etliche, dass in Berlin so viele Leute mit einer Bierflasche in der Hand auf der Straße rumliefen. Die vielen verschleierten Frauen, meinten drei andere. Nein, dass es hier noch echte Punks gebe, war für eine weitere Untergruppe wichtig.

Dass es gelingen würde, all' das auf nur ein Foto zu bannen, war nicht vorstellbar. Also hier ein typisches Berlin-Foto - zumindest aus studentischer französischer Sicht. Im Hintergrund die Moschee an der Wiener Straße, heute, am Tag ihrer Eröffnung. Danke, J., fürs Foto!

Mittwoch, 19. Mai 2010

Dauerregen

Und in den Ballkonkästen ist von Peters und meiner Aprilaussaat auch fast nichts aufgegangen - außer Unkraut, war einfach zu nass und zu kalt. (Danke fürs Foto!)

Mittwoch, 12. Mai 2010

Filmemacherinnen fehlen

"You Cannes Not Be Serious" - Online-Petition gegen ein Festival ohne Regisseurinnen

Das Projekt 'kinovi[sie]on des Innsbrucker Otto Preminger-Instituts weist darauf hin, dass im Wettbewerb des Internationalen Filmfestivals von Cannes keine einzige Regisseurin vertreten ist.

Auch im restlichen Programm des weltberühmten Filmfestivals sieht es nur auf den ersten Blick besser aus:

→ Unter den Sondervorführungen ("Special Screenings") sind vier von zehn Filmen in der Regie von Frauen enstanden.
→ In der Sektion "Un certain regard": 19 Filme im Programm, einer davon von einer Frau.
→ In der Sektion "Semaine de la critique" (Spielfilm): Ein Film von einer Regisseurin, ebenfalls von einem 19 Filme umfassenden Programm.
→ "Out of Competition" laufen neun Filme, einer stammt von einer Regisseurin ...

Seit Jahren beobachten die Fachleute in den Film- und Medienhochschulen, dass die Zahl des weiblichen Nachwuchses kontinuierlich zunimmt, in manchen Filmklassen überwiegt die Anzahl der Teilnehmerinnen die der männlichen Teilnehmer.

Statistisch ist es undenkbar, dass die vielen von Frauen eingereichten Filmen schlecht sein sollen.

Gegen die Unterrepräsentanz kann protestiert werden unter "You Cannes Not Be Serious".

Donnerstag, 6. Mai 2010

Fragebogen

Kam hier so an, einige Fragen, wie sie schon in den Salons zu Prousts Zeiten üblich waren ... Na gut ...

1. Wo ist Ihr Handy gerade? Am Fuß der Lampe des Flurtischchens, gegenüber vom Festnetztelefon. Sonst in einer der Taschen, an denen ich daher oft "lauschen" muss :-)

2. Ihr Haar? Winterfell dunkel, im Sommer Richtung dunkelblond, und mit den Jahren lockiger.

3. Ihre Mutter? ... war früher Lehrerin, und das merkt man (sibyllinisch lasse ich offen, ob bei mir, bei ihr oder bei beiden).

4. Ihr Vater? ... hat wunderbaren Humor.

5. Ihr Lieblingsgericht? Frankfurter Grüne Soße.

6. Ihr Traum in der letzten Nacht? Irgendwas mit Untertiteln.

7. Ihr Lieblingsgetränk? Nicht eins, viele: Wasser, grüner Tee, Lassi salzig, Molke, frische Fruchtsäfte, heiße Zitrone, Dickmilch und Kefir.

8. Ihr Traum/Ziel? Die alte Villa meiner Vorfahren retten und sinnvoll nutzen, Programmdirektorin werden, Filme schreiben und drehen.

9. In was für einem Zimmer sind Sie tätig? Eigentlich in jedem und auf dem Balkon, auch in der Küche, selbst im Bad (Nachdenken in der Wanne). Und uneigentlich? Ich arbeite dran.

10. Ihr Hobby? Sprachen, Kino, Inneneinrichtung, Fotografie, mit den Händen gestalten (leider oft zu wenig Zeit) ...

11. Was ist Ihre größte Angst? Meine Brille zu verlieren, bei - 10 Dioptrien eine Katastrophe. Aber ich weiche aus.

12. Wo wollen Sie in sechs Jahren sein? Hier, weiterhin in guter Gesellschaft. Und öfter am Meer.

13. Wo haben Sie letzte Nacht geschlafen? Wie immer zu Hause. Zu Hause ist da, wo mein Kopfkissen ist. Und das passt in die Reisetasche.

14. Etwas, das Sie nicht sind? Zickenkriegerin und Machiavellistin.

15. Muffins? Lieber Chilli-Brownies aus der Regenbogenfabrik.

16. Merkzettel? Au ja.

17. Wo sind Sie aufgewachsen? Zwischen Baudenkmalen, Gemälden und Büchern.

18. Was haben Sie als letztes gemacht? Der Tochter einer Freundin bei der Abivorbereitung geholfen.

19. Was tragen Sie gerade? Elegantes, das zugleich sportlich und pflegeleicht ist.

20. Ihr Fernseher? Mein bitte was?

21. Ihre Haustiere? Wollmäuse, die Lebensmittel- und die Kleidermotten mussten ausziehen, der eine oder andere Marienkäfer sitzt in der Palme.

22. Freunde? ... und Familie sind die Grundlage von allem.

23. Ihr Leben?
Nie langweilig, manchmal zu viel Stress ...

24. Ihre Stimmung?
Gerade sehr gut..

25. Vermissen Sie jemanden? Ja, jeden Tag - jede Sekunde.

26. Fahrzeug?
Weihnachten wurde mein alter "Maybach" geklaut, ein rostfahrbenes Diamantrad mit Tarnkappe, die letztendlich doch nicht half. Jetzt hab' ich ein hässliches solches ... und fremdele mit dem nicht so großen Fahrkomfort.

27. Etwas, das man Sie nicht tragen sieht? Stilettos.

28. Ihr Lieblingsshop? Bäckerei/Café in der Regenbogenfabrik, Buchladen "Leseglück", "Boutique Q-ture" mit Ehemännerwartebänkchen, weil es dort viel Schräges zu sehen und für mich auch ab und zu sehr, sehr Schönes zum Anziehen gibt.

29. Ihre Lieblingsfarbe? Orange.

30. Wann haben Sie das letzte Mal gelacht? Vor ein paar Minuten, am Telefon.

31 Das letzte Mal geweint? Vorhin, beim Zwiebelschneiden.

32. Ihr bester Freund? Ist die Mutter meines Patensohns.

33. Ein Ort, an den Sie immer wieder gehen? Ins Kino.

34. Facebook? Nicht mehr lange. What's next?

35. Lieblingsplatz fürs Essen? In der Küche, auf der alten Truhenbank, die mal ein Bett war, mit Blick auf POESIE.

36. Ihre Lieblingswort(e)? Augenblick, Freudetaumel, Mauersegler, Zeitlupe, Hingabe, Lichtspielhaus, Patensohn.

37. Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Jene, die ich selbst habe (zu einfach).

38. Ihre Lieblingstugend(en)? Empathie und Interesse für andere(s).

39. Ihr größter Fehler? Große Gesprächigkeit. Ich hab' meinen Beruf daraus gemacht.

40. Ihr Motto? Mieux vaut une tête bien faite qu'une tête bien pleine. Michel de Montaigne.

Samstag, 1. Mai 2010

Was Du ererbst von Deinen Vätern ...

... erwirb es, um es zu besitzen.
Johann Wolfgang von Goethe

In dieser Geschichte geht es um Neukölln, um Erbe und Erben, Panik, das Web2.0, die Behäbigkeit von Behörden und ein zumindest teilweise glückliches Ende. Am Anfang stehen zwei Nachfahren: C. Deniz K., ein junger Handwerker, und Caroline, eine Dolmetscherin und Autorin. Beide erben - er den Handwerksbetrieb seines Vaters, sie die geschnitzten Stühle ihrer Vorfahren. Weiter geht es aus Carolines Sicht.



Vor zwei Wochen schickte ich über Twitter eine Meldung ins digitale Labyrinth: Suche meine vier geschnitzten Ritterstühle der Tafelrunde. Beim Polsterer sind sie leider "verschwunden". Freundinnen und Freunde schickten diese Message weiter, auch über Facebook sandte ich eine Suchanzeige in die Weiten des Netzes.

Dem war vorausgegangen, dass ich meine alten, geerbten Stühle Schritt für Schritt restaurieren lassen wollte. Sie wackelten, also wanderten sie erstmal zum Schreiner. Sie hatten kaum noch oder schadhafte Polster, also ging's danach in eine Polsterei. Das war Anfang März. Bis Mitte März haben wir gebraucht, um passendes Leder zu finden, das zu einer ultramodernen Liege in meinem Zimmer passt. Dann breitete sich langsam vorösterliche Ruhe über der Stadt aus. Der Handwerker, ein sehr junger Mann, den ich wochenlang durch die Fensterscheibe seiner Werkstatt beim wunderbar kunstvollen Restaurieren alter Sessel beobachtet hatte, schien mir bestens für die Aufgabe geeignet. Ich hatte das Gefühl, dass er sich über den Auftrag zu freute, meinte indes, er hätte viel zu tun dieser Tage. Wir verabredeten uns also für 14 Tage nach Ostern ...
Als ich Mitte April wie vereinbart nach den Stühlen sehen wollte, traf mich der Schlag, als ich mich dem Geschäft näherte: Packpapier klebte von innen an den Scheiben, drinnen rissen Bauarbeiter gerade Wände ein. Die Nachmieter hatten keine Idee, wie ich "meinen" Handwerker würde erreichen können. Also ging ich zur Polizei, die mich aber nicht einmal richtig anhörte, ein Diebstahl sei das wohl nicht, sondern ein Vermögensschaden, ich müsse zu Gericht.

Für mich Nichtjuristin war das ein Schock, der über Wochen neue Nahrung finden sollte: Bis auf eine Person waren in der ganzen Stuhlsucharie seitens der Verwaltung alle gleichgültig, abweisend oder banalisierten meine Erfahrung /(Das ist doch nichts, wenn Sie wüssten, was wir hier sonst für Fälle haben!)
Für Gerichtliches brauch' ich die Anschrift meines Handwerkers, also flitze ich zum Einwohnermeldeamt. Dort die Ernüchterung: Ohne sein Geburtsdatum oder eine frühere Privatanschrift gibt es keine keine Auskunft. Datenschutz! Aber wer fragt schon den gutaussehenden Handwerker bei Auftragserteilung nach seiner Privatadresse, zumal als Frau gegenüber einem Mann? Hier schützte wohl der Datenschutz den Täter vor dem Opfer, mutmaßte ich, worauf die Dame vom Amt nur kühl konterte, dass ich vielleicht etwas überhört hätte und alles doch sicher nur ein Missverständnis sei.

Also schnell zum Ordnungsamt, dort zum Gewerbeamt, Fall schriftlich niederlegen, Antrag auf Einblick ins Gewerberegister stellen (in der Hoffnung auf mehr Daten), dann zurück zum Meldeamt. Bilanz: Viel Wartezeit habe ich auf Ämtern verbracht, bei denen es oft nur noch wenig Informationsschalter gibt, weshalb ich mir mancherorts in Stichworten die ganze Bandbreite der in derlei Bürostuben verhandelten Probleme mitanhören musste. Über zehn Stunden saß ich inmitten von Umzüglern, Leuten, denen die Papiere abhanden gekommen waren oder die ihre Gewerbepapiere verlängern mussten ...
Nun ist es ja nicht gerade so, dass ich keinen Beruf hätte und der nichtvorhandene Beruf auch ganz und gar nicht anstrengend wäre - und von irgendwas musste ich die permanent gebührenpflichtigen Auskünfte schließlich auch bezahlen! Kurz: das Maß meiner Genervtheit stieg mit jedem Tag. Parallel dazu habe ich mit Finanzamt und Handwerkskammer telefoniert und mich selbst auf die Suche gemacht. Nach einer halben Woche hatte ich die Privatanschrift meines Handwerkers, die Anzahl der Informationen, die übers social network reinkamen, überschritt bereits das erste Dutzend.

Also: Der junge Mann hatte die Firma des Vaters vor zwei Jahren übernommen und tragischerweise rasch auf die Hilfe des Vaters verzichten müssen. Nun hat sich seither die wirtschaftliche Situation des Landes gravierend verändert - und trotz der von der Krise beförderten Neigung zu Cocooning, die ich in meinem Umfeld und an mir selbst beobachte, verkaufen sich schwere Stoffvorhänge mit Posamenten, Strukturtapeten und Teppichböden - das schien neben dem Polstern der einträglichere Teil des Unternehmens gewesen sein - an die nach Nord-Neukölln nachziehende Künstler- und Lebenskünstlerfauna nur schleppend. Unsereiner wohnt mit abgeschliffenen Dielen, schlichten Leinenschals fürs Fenster, gern vom skandinavischen Einrichter und Raufaser, pigmentgefärbtem Putz oder der biologisch aktiven Lehmwand.

Und so trudelten die Infos ein: Die Geschäftsaufgabe kam nicht überraschend, dennoch dauerte der Auszug eine Weile. Die Nachmieter haben anfangs noch alte, im Ladenraum verbliebene Polstermöbel an Nachbarn weiterverkauft, oft für'n Appel und'n Ei. Der junge Mann hätte alles Wertvolle eingelagert, wohl zum Weiterverkauf, mutmaßte einer, ein anderer wusste, dass er sich außerhalb des Landes aufhalte.

Meine Panik wuchs stündlich.

Nach den Behördengängen klapperte ich Läden und Trödler in der Nachbarschaft ab, auch Polstererbetriebe, verteilte Fotos der Stühle, verschickte Mails an den jungen Handwerker und an andere Läden, ging auf Flohmärkte und zu den Läden, der derlei im Zwischenhandel 'dealen'.

Dann schrieb ich mit Hilfe meines Lieblingsanwalts einen Antrag auf Einstweilige Verfügung, verlief mich bei Gericht, landete endlich bei der richtigen Stelle, wartete wieder stundenlang an Infostellen und in Gängen, beauftragte schließlich einen Gerichtsvollzieher.Inzwischen hatte meine Mutter Kinderfotos von meinen drei Geschwistern und mir herausgesucht, auf denen die Stühle zu sehen sind. Nun kam die private Ebene meiner Suche. Ich wusste inzwischen, wie ich seine Mutter erreiche, und so bekam sie Fotos mit sehr emotionalen Worten auf der Rückseite: Das Baby auf dem Bild bin ich. Und unsere vier Stühle sind leider ...
Irgendwann klingelte das Telefon, ER war dran, und bat rasch um Entschuldigung. Die Stühle seien eingelagert, wann wir die Übergabe machen könnten. Ich habe weiter nicht nachgefragt, nur gesagt, dass mein Vertrauen zerstört sei.

Gestern war es dann soweit. In einem self storage an der Karl-Marx-Straße fand ich meine Stühle, das Leder und selbst den alten, herausgebrochenen Sitz in der alten fnac-Plastiktüte wieder.
Eine Stunde später suchte ich mit dem neuen Polsterer Ziernägel aus - und, oh Wunder, das Traditionsunternehmen Houlès aus Paris führt immer noch das gleiche Modell der ersten Reparatur, die, wie wir in der Familie ungefähr noch wissen, etwa in den 1920-er Jahren stattgefunden haben muss. Jetzt können wir das möglicherweise besser datieren, vermutlich eher nach 1928, dem Gründungsjahr des Unternehmens für Posamenten, Ziernägel, Kammzwecken und derlei ... Montag rufe ich in Paris an, ob sie ihre Nägel auch noch silberfarben liefern können oder nur in Messing.Wenn die Stühle vom neuen Polsterer zurück sind, gibt's 'ne Stuhlparty! Und ich wünsche trotz allen Ärgers dem Neuköllner Polsterer C.D.K. alles Gute, dass er die Krise als Mensch gut überstehen und an ihr wachsen möge.