Freitag, 24. Oktober 2008

Werte

Geld wird weniger wert werden, damit die Schulden in den USA schwinden. Böser Satz, aber so fühlt es sich an. Dann müsste im Gegenzug Arbeit mehr wert werden. Qualifizierte Arbeit.

Ich habe mir ein Fernglas für die Dolmetscherkabine gekauft, manchmal sehen wir ohne Hilfsmittel aus großer Enfernung nicht, was vorne 'gespielt' wird.

Das Fernglas kostetet bei Conrad-Elektronik genau 9,99 Euro, made in China. Das mitgelieferte Plastiketui stank erbärmlich. Also rushte ich noch schnell zu Karstadt und fand ein Schlüsseletui mit Volumen: Ist das Fernglas zusammengeklappt, passt es perfekt rein. Kostenpunkt für das hervorragend verarbeitete Lederteil: stolze 22,50 Euro. Das Etui lag inmitten von Ware der Firma Picard, einem trotz des französischen Namens bekannten deutschen Unternehmen.

Wenn ich Kleidung kaufe, vermeide ich Saisonpulis für 18,90 Euro aus China, wo wir in Europa so wenig über die Umstände der Herstellung wissen, wie die Arbeiter entlohnt werden, was für Umweltfolgen die Produktion hat usw. Ich kaufe lieber zu den Schlussverkäufen, so kann ich mir auch teure Ware leisten, die dann mehr als eine Saison hält.

Beim Fernglas machte ich eine Ausnahme, das Gerät brauche ich nur selten, die Leistung reicht mir, und da ich dem Gegenstand keinen großen Wert zumesse - obwohl es den als optisches Instrument durchaus hat - legte ich ohne zu zögern Geld für den Dumpingpreis auf den Tisch.




















Zuhause dann die Überraschung: als ich Schlüsselring mit Kette aus dem Inneren des Etuis rausschnitt, fiel mein Blick auf ein ganz unten, diskret angebrachtes Schildchen: "Made in China". Nichts deutscher Hersteller und hoher Preis für heimische Arbeit! Der Herstellerhinweis (längst in der großen Tonne) hatte auch eine andere Herkunft suggeriert. Also haben hier die Zwischenhändler dran verdient, und nicht zu knapp.

Beim Klamottenkauf mit einer Freundin letzten August kamen wir auf den Gedanken, dass es sicher bald ein Geschäft gibt: "Not made in China". Isabelle und ich wären dort gern Kundinnen.

Die Amis können nur propagandistisch die Einhaltung von Menschenrechten fordern. In Taten haben sie ihren eigenen Markt von Waren- und Geldimporten abhängig gemacht. Inflation ist deren einziger Ausweg.

Montag, 13. Oktober 2008

Kunden arbeiten mit

Etliche Stunden verbringe ich schon am Rechner und suche Flüge. Ich mussdarf nach Sète, halb Arbeit, halb Erholung, könnte über Paris zurückreisen oder noch an der Küste bummeln. So viele schöne Alternativen! Aber mir schwirrt bald der Kopf und ich habe viele Browserfenster geöffnet, um zu vergleichen: Es gibt fünf verschiedene Anreisewege mindestens, dazu sieben Fluggesellschaften oder Suchseiten, dann noch die Bahn, eine Buslinie, und ach, welches Zugtempo hätten's denn gern, davon hängt auch die Umtauschbarkeit des Tickets im Falle von Verspätungen ab. Und überhaupt: wie lange brauche ich für den Transfer vom Flughafen zum Bahnhof? Wie ist das in Lyon, wie in Nizza? Da kenn' ich immer nur die Zielfahrt nach Cannes ...
Ich wühle mich durch Newsgroups, zum Glück kann ich die Sprache meines Reiselandes.

Im Vergleich zu früher geht hier mein freier Abend drauf. Denn Bürozeit ist Bürozeit, der Wettkampf heftig, ich muss schnell auf Anfragen reagieren. Einst saß man eine Stunde tagsüber im Reisebüro an der Ecke rum und bekam zur Not danach einen Anruf, ging dann nochmal vorbei zum Ticket abholen.

Heute streikt das System nach drei Stunden: eine geforderte Super-Ausgabe-Sicherheitskennziffer finde ich nirgendwo auf dem Plastikgeld, und nachts um elf ist auch bei der Bank keiner mehr erreichbar.

Von wegen Effizienz. Zum Glück muss ich nächste Woche nicht auch noch selbst ins Cockpit und Flugzeug lenken.
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Foto: Arbeitsplatz Nr. 3 im Sommerlicht - beim Drehbuchübersetzen oder -schreiben sehe ich am Abend wenigstens ein Ergebnis!

Sonntag, 12. Oktober 2008

Sonntagmorgen: Spamfrei

Ein Sonntag um acht in der früh: Im Briefkasten nicht ein Spam, wo sonst 15-20 Müllmails zu entsorgen wären. Die Spammer scheinen einen nine to five-Job zu haben - und anders als viele andere Arbeitnehmer ein arbeitsfreies Wochenende.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Berlin französisch

Berlin wird wieder französischer. Wir haben es mit der zweiten großen Zuwanderungswelle seit dem Widerruf des Edikt von Nantes zu tun. Beweise gefällig? Voilà ! (Bilder zum Vergrößern anklicken. Diese Serie wird fortgesetzt.)

Sonntag, 5. Oktober 2008

Fotoindiz

... während im Frühstückscafé alle Indizien für Herbst sprechen ...

Freitag, 3. Oktober 2008

Jahreszeitlos in Nordneukölln

Seit Tagen wird das Licht heller und heller, so schön, dass man allein vom Hingucken besoffen werden könnte. Ebenfalls seit Tagen balzen die Blaumeisen, und sähen nicht die Erlen auch noch so aus, als wollten sie bald blühen, würde ich mir diese Einleitung verkneifen, deren Echo mal wieder lautet: Jahreszeiten- und Wetterchaos. Während auf Schwarzwald- und Gebirgshöhen der Winter da ist, reisen Kindergarteneltern in den bunten Herbst, und kinderlose freelancer planen ihren Restsommerurlaub. Am 11.8. um 18.52 Uhr ging die Regenzeit in Berlin los, gefühlter Höhepunkt: das letzte Augustwochenende. Isabelle aus Paris hatte sich hinter vielen Büchern auf meinem Sofa verschanzt und ward verschwunden, bis sie nach Stunden einmal kurz aufsah, sich die vorbeiziehenden Regenvorhänge besah und seufzte: 11 novembre ! (An diesem tradtionellen Lese- und Zuhausebleibtag gedenken die Franzosen des Endes von WW I - und wissen oft gar nichts von 11 Uhr 11.)

Die Zeit strukturieren daher auf Schönste die beiden großen Berliner Stadtmagazine mit Ausgehtipps und Kritiken. "Neukölln rockt" stand da vor einiger Zeit sogar auf dem Titelblatt - und beschrieb einmal mehr den Wandel Nordneuköllns zum inzwischen-nicht-mehr-Geheimtipp. Doch scheint der Kiez schwer zu finden zu sein. Letztens wurden von der einen Zeitschrift fünf Gastrokritiker in die Gegend ausgesandt, um die kulinarischen Höhepunkte "Kreuzköllns" ausfindig zu machen, im aktuellen Heft schwarz auf weiß der Beweis, dass die überwiegende Mehrheit gar nicht bis Neukölln durchgedrungen ist, den Kiez also gar nicht verorten konnte. Oder haben sie die Aufgabenstellung nicht richtig gelesen? Es handelt sich bei den Kritikern allesamt um Kollegen anderer Zeitungen, vermutlich festangestellte Kollegen, deren Ergüsse man nicht moniert - oder aber es sind Kurzbesuche von Gästen in Textform, und wer wird schon am Geschenk rumkritteln?

Ansonsten ist der Kiez als wie zuvor, ein wenig zu laut in seinem Auftreten, überraschend, gebastelt, heterogen, was Alter, Herkunft und soziale Schicht angeht und stellenweise sogar schön.

Was indes auffällt: Es ist hier immer häufiger Französisch zu hören. Durch die deutsch-französische Grundschule, die seit einigen Jahren aufgebaut wird, ziehen Menschen der Frankophonie gerne in den Bereich zwischen Maybachufer und Sonnenallee, denn für den weiterführenden Unterricht ist auch die deutsch-französische Europaschule im Rollbergkiez nicht weit. Es sind weniger die schon lange in Berlin wohnenden Franzosen, die ihre angestammten Vierteln mit den entsprechenden Schulen nicht verlassen, denn Menschen aus französischsprachigen Ländern und junge Franzosen, für die der alte Westen nicht selten zu teuer ist. So wird Neukölln bunter, und das ist wunderbar so.
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Foto: Links Neukölln, rechts Kreuzberg. Kreuzkölln ist also eigentlich nur hier, auf der Brücke. Und die Natur macht wieder Frankreich-Werbung ;-)