Samstag, 27. September 2008

Berlin-Marathon

Nein, ich laufe nicht, also muss ich mir auch nicht die Frage stellen lassen, ob ich für Aids-Kinder in Afrika laufe oder für Schülerinnen auf dem chinesischen Land - beides ist unterstützenswert, aber ich kenne andere Mittel als Asphalttreten.

Seit heute am frühen Nachmittag ist am Neuköllner Rand zu Kreuzberg die Hölle los. Über den Kottbusser Damm führt nämlich die Strecke, und da ist bereits am Tag vor dem eigentlichen Ereignis alles abgesperrt, die Kinder und Skater seien auf dem Parcours schon mal unterwegs und morgen früh die Rollifahrer, wusste die Bedienung vom Café Eckbert, bei denen ich mittags bei einem Espresso die Zeitungen zu lesen versuche.

Zur Folge hat das, dass die umgehenden Straßen dicht sind. Blechkisten, soweit das Auge reicht. In den meisten sitzt nur der berühmte eine Passagier. Überwiegend Männer sind es bei meiner Stichprobe, die ca. einen Kilometer umfasst (erst ging ich, dann rollte an mir doch einiges im Schritttempo). Viele haben das Fenster auf und unterziehen ihre bumm-bumm-Boxen einem Belastungstest.

Die Straße stinkt, die Luft zerreißt neben den miteinander konkurrierenden Rhythmen auch doch das Schrapp-schrapp-schrapp der Hubschrauber, die wie die ghetto birds in LA über uns kreisen; dazu noch viel Tatü-tata in Rot-Weiss.

Zwei Stunden dauert die Belagerung insgesamt; ich flüchte rasch in die Stadtschreiberwohnung und verrammele mich dort.

Und verstehe nicht, warum so viele Leute, die ja aus der Zeitung vom Marathon erfahren haben, an einem schönen Samstagnachmittag (Schäfchenwolken!) ins Auto steigen. Und warum müssen sie auch noch hupen - das vierte Geräusch, das mit der Zeit auch immer ungehaltener wird. Als würde Hupen etwas ändern.

Oder können die vielleicht alle gar nicht lesen? Und morgen das Ganze dann nochmal! Und das soll gesund sein?

Freitag, 26. September 2008

Infekt im Zeitfenster

"Dann nutzt du ja das Zeitfenster ideal", sagt der Produktionsleiter der Firma B., "dann werd' mal wieder schnell gesund!". Noch so ein komisches Wort, das wir aus dem Amerikanischen haben: das Zeitfenster. Wo ist bitte die Zeit eine Wand, in der Fenster wären? Durchs Fenster seh ich eigentlich hinaus, hier aber soll ich im Zeitfenster etwas MACHEN. Wäre eine Zeittür nicht viel praktikabler? Oder ich nehm' gleich den Zeittunnel ...

Soit! Egal, weiter!

Mein Körper hat auf die kurze Phase zwischen zwei Jobs Anspruch erhoben und sich einen grippalen Infekt zugelegt. Daher bin ich jetzt halskratzbürstig, weil ich keine Lust hab auf Eisfüße, Triefnase und tagsüber Bett. Jetzt sitze ich wie für die Polarexpedition eingepackt auf dem Sofa und sammle die besten Hausmittelchen gegen den Sch...

Ordentlich Pfeffer in heißem Whiskey, sagte Raymund (heiß? Whiskey?), das sei eine Rosskur, aber helfe. Hab nix Hochprozentiges hier, da versuch' ich's lieber mal mit den Alfalfa-Sprossen, die er bei mir um die Ecke herstellt.

Der heiße Zwiebelsud mit Honig war wofür nochmal? Gegen Husten. Hab ich gemacht. Und auch Lindenblütentee getrunken (Danke, Britta), Umcka getröpfelt (zum Apotheker: "Ich sag' den Anfang, Sie sagen das Ende: Umcka..."). Außerdem: Badewanne (nachts halb drei, et oui, Isabelle, anders als in Paris sind viele Berliner Wohnungen groß, haben Bad- und Küchentrakt und ich kann nachts das Wasser laufen lassen), dicke Socken (die berühmten Links-Rechts-Socken, doppelwandig), Wärmflaschen, Hühnersuppe (als Vegi).

Meine beste Empfehlung gegen das, was wir umgangssprachlich 'ne Erkältung nennen, ist dies: Hörbucher. Da meine Arbeitssprache Französisch ist, höre ich hier - klick - bei litteratureaudio.com. Da finde ich viele Klassiker wieder, Literatur, Politik, Geschichte, vor allem sind Franzosen vertreten, aber auch ein wenig Weltliteratur. Es ist ein Verein, der Sehgeschädigten Zugang zur Literatur erleichtern will, der diese Dateien aufnimmt und kostenlos zur Verfügung stellt. (Mit fast - 10 Dioptrien zähl ich mich ein wenig darunter, im Bett lesen geht oft nicht, der Bügel klemmt, das Licht spiegelt in der Brille ...)

Je mehr ich höre und wiederhöre, desto begeisterter bin ich. DAS hilft gegen Erkältung! Wer kennt ähnliches auf Deutsch und Englisch? Und noch Hausmittelchen gegen Erkältung? Da verschwinde ich doch ganz gerne mal ein Weilchen, nehme mir Zeit zum Gesundwerden und bin dann mal kurz "weg vom Fenster" ... wo? Im Tunnel ...

Sonntag, 21. September 2008

Arbeitszeit

Wieder mal das leidige Thema Arbeitszeit. Ich übersetze ein Drehbuch aus dem Französischen, kam nach einer Probeseite auf ca. 60 Stunden Arbeitszeit. Netto. Nun geht es in diesem Alzheimer-Thriller über ein Thema, das ich nicht kenne, es spielt in einer Gegend, die mir fremd ist, also lese ich mich ein wenig ein. Dann formatiere ich die Datei um, die anfangs hakt. Dann koche ich Tee, dabei fällt mir auf, dass ich die Spüle mal wieder gründlich scheuern muss, morgen kommen Handwerker ...

Und als ich mittendrin bin, spüre ich, Stunden später, wie sich meine Muskeln von der Schreibtischarbeit verkürzen, Millimeter für Millimeter, da kann' ich fast zusehen dabei. Einige Stunden später sind die Füße eiskalt, ich bade, mitten am Tag. Das tut meinem Gedankenfluss und dem Text gut. Ebenso, dass ich in den Pausen immer in der Küche bin oder im Wohnzimmer oder im hinteren Zimmer am Stehpult, und mal laut, mal leise lese. Ich höre meine Stimme, sie klingt rauer als sonst, sie bleibt oft still dieser Tage, wo tief in mir drin die vielen Stimmen und Sprachen des Drehbuchs erklingen. Wichtig: Ich lese auf Deutsch, telefoniere zwischendurch - auf Deutsch, gehe ins Café, nur, um die Bedienung zu besuchen (eine Studentin von mir). Ich stelle meinen Kopf wieder ein, justiere meine Sprache neu.

Alles das muss ich zur Arbeitszeit hinzurechnen. Den Kostenvoranschlag für die Reise mit einer diplomatischen Delegation zwischendurch, die kleinen Gänge (Druckertinte ist alle) und die größeren Pausen, die der Erhaltung oder gar Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit dienen. Als Freiberuflerin erlebe ich oft: Sie sind nicht drin im Budget. Also versuche ich mich so gut es geht zu programmieren: Ich sitze am Schreibtisch, dem Cockpit, Blick geradeaus und in Routinemomenten schalte ich schon mal auf Autopilot. Ich lese ja am Ende als meine eigene Erstkorrektorin alles mehrfach durch ...

Fasten seat belt, es geht (wieder) los ...

Sonntag, 14. September 2008

Ereignis

Die Stadtschreiberin von Neukölln kommt gerade sehr wenig raus, sie schreibt. Daher sind es auch wenig Dinge aus Neukölln, über die hier derzeit berichtet wird.

Heute gab es ein Ereignis. Es klingelte. Niemand war angemeldet, es ist Sonntag, also kein übliches "Pohost-ich-komme-mit-Werbung-die-Müllabfuhr!"-Klingeln, auf das ich oft schon gar nicht mehr reagiere. Es klingelte wieder.

Endlich ging ich hin. In der Gegensprechanlage ergab sich folgender Dialog:

Ich: Hallo?
Er: Sie haben geklingelt!
Ich: Nein, Sie haben geklingelt!
Er: Ich bin oben in meiner Wohnung, da kann ich nicht bei ihnen geklingelt haben!
Sie: Ich auch, äh ... nicht!
Er: Aber sie haben doch gerade bei mir geklingelt!
Ich: Nein. Ich bin auch oben in meiner Wohnung. Ich glaube, wir hören uns über die Gegensprechanlage.
Er: Und was jetzt?
Ich: Wir hängen wieder ein.
Er: Das machen wir! Schönen Sonntag noch!
Ich: Dann war das Ganze wenigstens für etwas gut: Schönen Sonntag wünsch' ich Ihnen auch!
Er: (Klick.)
Ich: (Klick.)

Und ich dachte immer, die Gegensprechanlage blockierte alle anderen Parteien, wenn eine Verbindung zwischen unten und einer der Wohnungen hergestellt ist!
Welchen Nachbarn ich da an der Strippe hatte, weiß ich nicht. Aber es war ein netter Gruß, der mich aus der Arbeit riss. Ob das Schellemännchen das geahnt hat?

Sonst ist nichts passiert. Wirklich nichts.