Dienstag, 31. Juli 2007

Neue Frauen hat das Land

Im Chat mit Freundinnen. Wir sind alle hochgebildet, super sozial und kulturell engagiert - und mehr oder weniger alleinstehend.

Conny: "Ich wünsch mir mehr Ruhe. Derzeit hab ich mit drei Männern intensiv zu tun. Richtig, das Man-sollte-mehrere-Männer-haben-Prinzip. Bernd zum Kuscheln, Hans als Begleiter meiner Wissenschaftskarriere und für Kultur und Party und Peter kenn' ich noch von früher aus dem alten Job, wir schreiben uns fast täglich, es ist wie meine Brieffreundschaft, als ich Teenie war. "

Vera: "Reicht das? Ich finde, Dir fehlt der Kerl zum Joggen und mit der Bohrmaschine!"

Ich: "Bei mir ist meine Arbeitswelt so. Über den einen Job hab ich's Geld (Dolmetschen), über den anderen die soziale Anerkennung (Uni) und der dritte ist noch mehr wieder Hobby geworden, seit ich dem Journalismus den Rücken gekehrt hab: Schreiben. Das ist jetzt für mich."

Sophie: "Als Soziologin versuche ich natürlich immer gesellschaftliche Regelmäßigkeiten zu erkennen, aber dieses Job-Konstrukt hat noch keinen Eingang in die einschlägige Literatur gefunden. Da gibt es die Stories aus den USA à la "drei Jobs zum Überleben", aber die Wahl-mehrere-Jobs-Aufteil-Fraktion mit intellektueller Begründung ist mir bisher noch nie begegnet ..."

Ich: "Dann sollten wir was drüber schreiben. Und so richtig freie Wahl ist das aber auch nicht. Die Unis und die Medien sind sehr feudalistisch organisierte Welten, mir scheint, deutlich mehr als andere Berufsbereiche. Die sind extrem kompliziert reguliert und alles andere als optimal. Kurz: Ohne den Kürzungswahn überall hätte ich längst schon meinen Bereich in Uni oder Sender, in dem ich mehrerlei verbinden könnte. Deshalb jongliere ich das heute als Ergebnis einer freien Entscheidung - aber als Reaktion auf missliche Umstände."

Conny: "Jonglieren ist das richtige Wort. Immer rennen, immer alle informieren, Kontakte pflegen im Beruf, es geht oft nicht mehr um Qualität, sondern Connections sind das Zauberwort, naja, und privat eh, mit Vielmännerei ist das echt mehr Arbeit. Und die Zeit wird knapp und knapper."

Vera: "Vergesst das Kinderkriegen nicht, Mädels!"

Donnerstag, 26. Juli 2007

Fehlerkultur

Wir brauchen eine neue Kultur der Fehler und des Scheiterns, nur so ist Fortschritt möglich. Das findet auch der französische Filmregisseur Claude Lelouch, der heute auf RFI sagte:

"Scheitern ist ein Geschenk. Scheitern ist die größte Universität der Welt, vorausgesetzt, man erkennt sein Nichtwissen an."

Mittwoch, 25. Juli 2007

Wahre Bildung oder Ware Bildung?

Welthandel hat mit Bildung zu tun, dies stellten gestern die Teilnehmer am 5. Weltlehrerkongress in Neukölln fest. Denn um Welthandel zu treiben, muss der Mensch gebildet sein. Aber Bildung wird zunehmend zur Ware - und diese Entwicklung könne das hohe Gut Bildung als Menschenrecht demokratischer Gesellschaften gefährden, so die Pädagogen.

Die zunehmende Privatisierung der Bildung wird nicht nur von Lehrern, auch von der Welthandelsorganisation (WTO) mit großem Interesse verfolgt. Hier stehen Bildungsdienstleistungen auf dem Programm einiger Länder, die diesen Sektor am liebsten liberalisiert, das heißt zum Markt erklärt wüssten. Laut OECD ist der Bildungssektor zwei Billionen US-Dollar jährlich "schwer". Nur ein Fünftel davon wird bislang von privaten Anbietern umgesetzt. Die Weltwirtschaft diskutiert das Thema im Rahmen der GATS-Verhandlungen.

Rücksprung in der Zeit: Seit der Nachkriegszeit verhandeln die Völker miteinander über den Abbau von Handelshemmnissen. Unter der Bezeichnung GATT (General Agreement on Tariffs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) entstand in Ergänzung zum Internationalen Währungsfonds ein Welthandelssystem, das stabil und global vernetzt sein sollte, um weitere kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Völkern zu verhindern. Die Verhandlungen finden in sogenannten "Runden" statt, die jeweils nach dem Ort benannt werden, in dem die Gespräche wieder aufgenommen wurden. Die letzte "Runde" führte 1995 zur Gründung der WTO. Für die Zustimmung der beteiligten Länder setzten die Entwicklungsländer ihren Wunsch nach Einbeziehung von Landwirtschaft und Textilindustrie durch; die Industrieländer verfochten die Einbeziehung der Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) und den Schutz geistiger Eigentumsrechte (Agreement on Trade Related Intellectual Property Rights, TRIPS) und (TRIPS). Die WTO ruht demnach auf drei Säulen: GATT, GATS und TRIPS.

Wichtig ist zu wissen, dass diese Entwicklung aufgrund der internationalen Verträge sich nur in Richtung zunehmender Liberalisierung gehen kann. Die Vertragsstaaten erhalten mit der Unterschrift durch die Länder die Zusage der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung, was bedeutet, dass alle, die am Marktgeschehen eines anderen Landes teilnehmen möchten, einen Anspruch nicht nur auf die günstigsten Handelsbedingungen des jeweiligen Landes haben, sondern auch den inländischen Anbietern gleichgestellt werden müssen. Ist ein Freihandelsvertrag einmal unterzeichnet, können einmal gewährte Freiheiten im Dienstleistungsbereich nicht mehr zurückgenommen werden. Ein entsprechendes Gericht wird auf Anfrage dann den Vertragsbruch ahnden; die Benachteiligten können auf Ersatzleistungen pochen.

Derzeit stagnieren die Verhandlungen im Landwirtschaftsbereich der aktuellen Runde, der "Doha-Round". Daher ist jetzt Bildung in den Focus der Liberalisierungsverhandlungen geraten. Bildung, Ausbildung, Erziehung und Erwachsenenbildung sind schon heute zum Teil ein privater Markt: Von EI-Kitas über Reit- und Sportschulen über konfessionell gebundene Schulen bis zu Berufsakademien oder Privatunis wie Witten/Herdecke reicht in Deutschland das etablierte Spektrum. In den letzten zehn Jahre wuchs die Zahl der Privathochschulen von 14 auf über 60, Schulen, die vor allem Manager ausbilden. Bekanntestes Beispiel ist sicher die 2006 im ehemaligen Staatsratsgebäude am Berliner Schlossplatz eröffnete "European School of Management and Technology" (esmt).

Die EU hat 1995 bei den GATS-Verhandlungen bereits ihre Bereitschaft erklärt, private Bildungseinrichtungen für den Freihandel zu öffnen.

Doch wo "privat" anfängt und "staatlich" aufhört, ist nicht genau festgelegt. Immer häufiger werden Bildungseinrichtungen durch Stiftungen und Sponsering unterstützt. Könnten nicht auch Studiengebühren als private Bildungsinvestitionen gewertet werden? Und privatwirtschaftliche An-Institute, die in Grundlagenforschung investieren? Viele Kunst- und Fachhochschulen finanzieren seit Jahren ihren Lehrbetrieb durch kommerzielle Angebote quer, zum Beispiel Kompaktkurse für die Wirtschaft oder Aufbaustudiengänge.

Das Ansinnen der Verhandlungspartner, dass auch Europa die Öffnung staatlicher Einrichtungen unterzeichnen möge, könnte sich als Bumerang erweisen. Denn alle Richtlinien und Vorschriften gelten als „Handelshemmnis“, die sicherstellen sollen, dass Schulen und Hochschulen Qualität anbieten und eigenen Charakter aufweisen - zum Beispiel durch Gesetze und Lehrpläne, die regionale Geschichte berücksichtigen, Lehrerausbildung kontrollieren und Curricula festlegen. Europäische Staaten beaufsichtigen natürlich auch private Schulen und Universitäten, um Qualität sicherzustellen. Erfahrungen mit Nachhilfe per Internet gibt es bereits; Kinder in den USA haben Lehrer in Indien, die sie nur per Chat kennen. Etliche private Schulanbieter aus Europa würden auch gern in Europa tätig werden - so, wie nordamerikanische Firmen schon in südamerikanischen Staaten auftreten, die den Vertrag auch zur Öffnung des öffentlichen Bildungswesens bereits unterzeichnet haben.

Ein in dem Kontext entstehender Markt ist die Evaluierung und Beratung von Schulen - PISA in privater Hand mit konkreten marktwirtschaftlichen Empfehlungen. Jeder Anbieter, der in seinem Herkunftsland eine Lizenz erhalten hat, bekäme durch den nächsten Schritt der Liberalisierung hierzulande die gleichen Rechte erhalten wie angestammte Einrichtungen - inklusive der Vorteile und Subventionen. Denn diese stellen aus der Perspektive des nichtregulierten Welthandels einen den Markt verzerrenden Eingriff in den freien Wettbewerb dar.

Wie gesagt, je nachdem, welche Definition angewandt wird, sind viele der öffentlichen Bildungseinrichtungen längst private Institutionen, die unter die GATS-Verträge fallen. Bislang hat es noch keine Konflikte gegeben. Das Szenario, das Fachleute für einen sich verschärfenden Wettkampf entwerfen, ist düster: Das Verbot der Schlechterstellung ausländischer Wettbewerber könnte dazu führen, dass die Staaten gezwungen wären, auch ihnen Subventionen zukommen zu lassen. Die Mittel für Bildung sind überall begrenzt, das Geld würde sich also auf mehr Einrichtungen verteilen, das Niveau der öffentlichen Einrichtungen sinken, die Forschungsfreiheit wäre bedroht. Bis zu dem Moment, in dem das vergrößerte Angebot ein Argument für die Regierungen sein könnte, sich stärker aus dem Bildungssektor zurückziehen. Dabei drohte eine Konzentration der Bildung und Forschung auf marktgängige und industrierelevante Studiengänge - zum Nachteil der gesellschaftswissenschaftlichen, sozialen und künstlerisch ausgerichteten Bildungsangebote.

Die Freihandelsverträge haben zu einer langen Phase relativen Friedens auf den Territorien der entwickelten Staaten geführt. Der Krieg, so scheint es hat sicher verlagert, manche nennen ihn heute "Globalisierung". Seit 1997 gibt es in Paris bereits eine Schule, die sich mit ihren Begleiterscheinungen beschäftigt, eine Privatschule mit dem bezeichnenden Namen "ecole de guerre économique", auf Deutsch: Schule für Wirtschaftskrieg.

Montag, 23. Juli 2007

Die Lehrer der Welt zu Gast in Neukölln

"Bildung befähigt den Menschen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und etwas aus seinem Leben zu machen" - mit diesen Worten eröffnete Bundespräsident Horst Köhler heute den 5. Weltlehrerkongress, der in Neukölln stattfindet. Fünf Tage lang debattieren 1600 Pädagogen und Wissenschaftler aus 160 Ländern über die Situation in ihrer jeweiligen Heimat, über Trends und gemeinsame Ziele. Die Hauptziele sind auf einen einfachen Nenner zu bringen: Das Recht auf Bildung für alle jungen Menschen und die Frage, wie das öffentliche Bildungssystem gestärkt werden könnte.

Bildung ist ein öffentliches, für jeden zugängliches Gut - und damit ein Grundrecht. Aber dieses Grundrecht wird bis heute mehr als 100 Mio. Kindern verwehrt, die fern jeder Schule aufwachsen. Die Lehrer stellten außerdem übereinstimmend fest, dass dieses Grundrecht in vielen anderen Ländern zum Teil bereits wieder bedroht ist.
Übereinstimmend berichteten sie, dass nahezu weltweit der Trend besteht, Schulen, berufsbildende Einrichtungen und Hochschulen ganz oder teilweise zu privatisieren. Dagegen sprachen sich die Pädagogen aus, weil nur eine staatliche Handlung hier hohe Niveaus, Chancengleichheit für den Nachwuchs und Unabhängigkeit der Einrichtungen sichern kann.

Hintergrund der Situation ist, dass hier an die Stelle (oder die Seite) der öffentlichen Hand immer häufiger Privatunternehmen, Sponsoren und Stiftungen treten. Die Kommerzialisierung der Bildung geht einher mit der Prekarisierung der Lehrer: Pädagogen, die in den Ruhestand treten, werden von freiberuflichen Kollegen ersetzt, die zu deutlich schlechteren Bedingungen beschäftigt werden. Der Kongress hat sich dafür ausgesprochen, dass auch die Würde des Lehrer- und Hochschullehrerberufs sowie das Recht auf pädagogische Freiheit schützenswerte Güter sind.

Um die Bedeutung der Bildung wissen auch die UN-Mitgliedsstaaten, die sich vor sieben Jahren in der sogenannten Millenniumserklärung dazu verpflichtet hatten, bis 2015 allen Kindern eine gute und gebührenfreie Grundbildung anzubieten. Davon sind wir weit entfernt. Wollte man dies ändern, müssten ca. 18 Mio. Lehrer neu eingestellt werden.

Unser Bundespräsident bekam sehr freundlichen Beifall, als er bekräftigte: "Gute Bildung sollte keine Glückssache sein. Gute Bildung ist ein Menschenrecht."

Auf rund 50 Veranstaltungen diskutieren die Delegierten verschiedenster Gewerkschaften, die insgesamt mehr als 30 Mio. Pädagogen repräsentieren. Der Kongress findet seit 1973 alle drei Jahre statt. Außerdem ist der internationale Weltkongress der Bildungsinternationalen, wie er in voller Länge heißt, Ansprechpartner bei Diskussionen mit dem G8, der WTO und anderen supranationalen Einrichtungen.
Mehr Infos: http://www.ei-ie.org/congress5/en/index.php

Samstag, 21. Juli 2007

Fast nichts Neues vom Ufer

Ein Samstag in der besten Ferienzeit mit Sonnenschein: zwischen Einkaufen und Kaffeetrinken spazieren hunderte von Nachbarn den Landwehrkanal entlang und bilden eine Menschenkette gegen die Kettensäge.

Das WSA möchte inzwischen gefährdete Bäume an die Kette legen, abgestützt durch monströste Betonklötze. Als Verfahren gibt es hierfür keine Präzedenzfälle in Größenordnung. Im Gegenzug wurde die Ufersituation noch immer nicht durch unabhängige Experten untersucht. Nur ein beeidigter Sachverständiger für Statik und Verkehrssicherheit hat zu Protokoll gegeben, dass die meisten Bäume ohne "Sicherungsmaßnahmen" stehen bleiben könnten und dass im Gegenteil Abholzungen in vielen Fällen das Ufer unsicherer machen.

In der Zwischenzeit wurden vom Amt Dutzende Bäume gestutzt, andere wie oben beschrieben an die Kette gelegt. Dies geschah, so der Baumsachverständige weiter, nicht nach Regeln der Kunst und die Berliner Baumschutzverordnung wurde an vielen Stellen auch nicht eingehalten. Außerdem haben die Arbeiter vielfach die Wurzeln unnötig beschädigt.

Eigentlich müsste hier jetzt die Landespolitik eingreifen, aber die scheint im Urlaub zu sein.

Überhaupt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier per Salamitaktik Tatsachen geschaffen werden. Schau ich vom Balkon und zähle die Bäume, komme ich auf Sichtweite, die etwa dreihundert Meter beträgt, auf mindestens zwanzig bedrohte Bäume, schenke ich dem Leiter des WSA Glauben, der vor Monaten angekündigt hat, alle Bäume auf den ersten zwei, drei Metern und alles, was höher ist als 15 Meter" sei 'fällig'. Nach diesen Kriterien auf die ganze Kanallänge hochgerechnet komme ich auf 770 Bäume ...

Ein Samstagnachmittag bei Sonnenschein, nichts geht mehr auf dem Kottbusser Damm. Am Ende sind wir 1500 Menschen.

Freitag, 20. Juli 2007

Berliner Bildungsmauer

Heute am Maybachufer: Der Fischhändler verkauft mir eine Scholle, legt Eis drauf, packt sie in Folie ein, wickelt eine Zeitung drum. Beim Runtertragen des Altpapiers fällt mein Blick auf einen Artikel dieser Zeitung, es war der "Tagesspiegel" vom 23. April 2997, Wirtschaftsseite. Unter "Topvolkswirte zieht es ins Ausland" steht hier unter anderem: "Nach ihrem Volkswirtschaftsvordiplom ging Stephanie Schmitt-Grohé Ende der achtziger Jahre an eine kleine amerikanische Uni (...) Zu unattraktiv erschienen ihr die Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen. (...) Die 40-jährige gehört zu einer wachsenden Gruppe von deutschen Ökonomen, die ihr berufliches Heil in der Fremde suchen. Mehr als 120 Wirtschaftswissenschaftler haben dem Land den Rücken gekehrt, zeigt eine Untersuchung des „Handelsblatts“. Damit arbeitet mindestens jeder zehnte deutsche Hochschulvolkswirt außerhalb der Landesgrenzen. (...) Vor allem junge, erfolgreiche Forscher verlassen das Land. Von den 100 forschungsstärksten Ökonomen unter 45 Jahren arbeitet jeder zweite an einer ausländischen Universität. (...) Auffällig ist: In den fünf angesehensten ökonomischen Fachzeitschriften der Welt sind Deutsche, die im Ausland arbeiten, deutlich häufiger vertreten als ihre heimischen Kollegen. „Unsere Studenten sind heute international konkurrenzfähig“, sagt Friedrich Schneider, Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, einer wichtigen Vereinigung von VWL-Professoren."

Berichte wie dieser stehen inzwischen nahezu täglich in deutschen Gazetten. Und der beschriebene brain drain wird immer wieder als Grund genannt, weshalb wir jetzt unsere Hochschulen wieder attraktiv gestalten müssen. Dies soll mit dem Umbau auf Bachelor und Master geschehen.

Als logisch denkender Mensch habe ich da Fragen. Wieso soll unser Hochschulsystem so schlecht sein, wenn so viele Absolventen derart begehrt sind? Warum schafft es das angeblich überlegene amerikanische System nicht, seinen eigenen Nachwuchs auszubilden? Weshalb sprechen wir hier dauernd von "Bachelor" als Hochschulabschluss, der, soweit ich weiß, in den USA gleichbedeutend ist mit dem unserem Abitur?

Denn dort ist die high school eher mit unserer Gesamtschule zu vergleichen - und der Abschluss ist ein high school diploma, die Absolventen sind meist 16 bis 17, wenn sie das erlangen. Danach geht es aufs college, das unserer gymnasialen Oberstufe entspricht. Der dort nach zwei Jahren erworbene Abschluss, der bachelor, wird an der Pariser Sorbonne in den 80er Jahren mit dem französischen baccalauréat gewertet, der Abiturient heißt auf Französisch bachot, die Ähnlichkeit findet sich sogar im Wort wieder. Auch in Nordamerika geht es erst danach weiter mit einer weiterführenden Bildungseinrichtung, der university oder einer anderen "Schule" des Privatsektors.

Paradox, aber wahr: an manchen dieser teuer zu bezahlenden Eliteschulen wird jetzt darüber nachgedacht, ein Studium generale vorzuschalten und Diplomstudiengänge nach deutschem Vorbild zu begründen. Hier werden die Gebrüder Humboldt heftig diskutiert, die einst mit dem Begriff „Einheit von Lehre und Forschung“ die deutsche Hochschullandschaft modernisiert hatten. Dazu hatte einst auch die Einheit der Lehrenden und der Forschenden und die Einheit von Theorie und Praxis gehört, letztere war im universitären Alltag ohnehin schon fast nicht angekommen. Zum Forschen gehört indes auch der Irrweg, das Querdenken, das Verwerfen von möglichen Lösungswegen, kurz: das Scheitern. Und dafür braucht es Zeit und Müßiggang, beides sieht die starre Studienordnung nicht mehr vor.

Die Umstellung auf "Bachelor" und "Master" empfinden vor allem jene als Studienzeitverkürzung, die schon selbst erleben durften, dass mit dem ersten Abschluss der Rechtsanspruch auf BAFÖG endet. Und wenn ich an die Idee eines "Lehrprofessors" mit 18 Semesterwochenstunden und ohne Forschungsaufgaben denke, muss ich feststellen: Hier wird Humboldt'scher Geist mit dem Eisenbesen aus deutschen Hochschulen rausgekehrt. Die gleichen Regierenden, die überdies Studiengebühren fordern, fördern daneben die Gründungen privater Eliteschulen, meistens im Managementbereich, hier engagieren sich selbst arme Länder mit dreistelligen Millionensummen in der Startphase - wir haben ja hier "Nachholbedarf".

Anstatt auf der Basis unserer Geschichte und Erfahrungen das System universitärer Ausbildung zu modernisieren, schielen wir weiter auf die USA. Bei mündlichen Verhandlungen von Anträgen, so wurde mir von Kollegen berichtet, hätte man nach Auslandsaufenthalten gefragt. "Ja, war die Antwort, Frankreich und Italien!" Das Gegenüber wollte das aber nicht gelten lassen: "Sie wissen schon, wir meinen, ob sie auch in den USA waren?"

Oder geht's wirklich nur um die Ökonomie? "WIR haben unsere Leute ausgebildet, die WIR auch behalten wollen ...!?" Wenn das Niveau der deutschen Unis sinkt, werden unsere Absolventen fürs Ausland bald weniger Interessant sein. Es ist, als würden wir eine Berliner Mauer um das Erbe der Humboldts errichten, das scheinen wir als Industrieland nötig zu haben.

Das wäre auch eine Art, den brain drain zu stoppen ...

Samstag, 7. Juli 2007

Rechnung

Das Netto-Monatseinkommen eines 26-jährigen ledigen Polizeimeisters liegt bei 1630 Euro, den Staat - uns - kostet das schätzungsweise das Doppelte, gehen wir von 3260 Euro aus. Ein Vierzigstel davon entspricht einem halben Arbeitstag, multipliziert mal 150 Beamte, die Donnerstag am Ufer die Abholzung dreier gesunder Bäume 'schützten', ergibt 12.225 Euro.
Da ja auch ältere und verheiratete Wachtmeister dabei gewesen sind, gehe ich mal von einer Größenordnung von 15.000 Euro nur für die Polizei aus - je halbem Tag. 22 Bäume wurden insgesamt gefällt, mir fehlt die Übersicht dessen, wie lange das gedauert haben mag.

15.000 Euro - genau diese Summe gibt die Reederei Riedel als Verlust an, der ihr täglich durch die Sperrung des Landwehrkanals entsteht, alle Reeder zusammen beziffern den Verlust auf über sechzigtausend Euro. Die Reeder zahlen seit langem Steuern, die auch zur Instandhaltung der Ufermauern hätten aufgewendet werden müssen.

Der Sperrungsbeschluss vom 23. Juni war wiederum das Mittel, den Druck zu erhöhen - merkwürdig nur, dass hinter den Absperrungen nicht umgehend Sanierungsmaßnahmen an den Mauern begonnen wurden. Oder Aufschüttungen der unterirdischen Trichter, die im Boden des Kanals an den Wende- und Anlegestellen entstanden sind - an genau den Stellen, an denen konkret Ufermauern eingebrochen sind. Es heißt doch, es sei Gefahr im Verzuge ...

Wie ist das Ganze zu erklären? Die Aufwendungen für den Polizeischutz sind kostenneutral, die Beamten stehen längst im Budget. Reparaturmaßnahmen werden weiter in der Finanzierung gestreckt, hier scheint keine große Eile geboten - und jetzt, nach Absägen der "Bedrohung", darf der Kanal auch wieder partiell befahren werden. Auf dass die Reeder weiter ihre Abgaben entrichten.

Tja, schade, Bäume zahlen leider keine Steuern.

Mittwoch, 4. Juli 2007

Gefällt!

Am Maybachufer, direkt in unserer Nachbarschaft, wurden heute drei Bäume gefällt. Es waren drei Euramerikanische Hybridpappeln, sie standen sehr dicht am Wasser und waren sehr hoch. In ihnen nisteten Vögel, die Grillen waren dort auch zu Hause und im Spätsommer sammelten sich dort Vögel für den Flug in den Süden.

Sie standen so dicht an der Mauer, dass ihre Wurzeln bei einer Mauersanierung verletzt worden wären. In der Reihe stehen jetzt nur noch 'normalhohe' Bäume, das Ufer ist lückenhaft.

Es hat mir physisch wehgetan. Zugleich sehe ich, dass die Nachbarn bis zum 3. Stock jetzt mehr Licht in den Balkonzimmern haben.

Es wurden indes heute auch Bäume abgesagt, deren Zukunft nicht so düster gewesen ist wie die der Pappeln. Was mich wütend macht, ist, dass die Fällaktion mit 150 Polizisten abgesichert und dass zu nämlicher Stunde im Wasserschutzamt weiter offiziell verhandelt wurde. Man verwendet die Mechanismen der Demokratie, um unter Polizeischutz Verhandlungergebnisse vorwegzunehmen. Einer zynischere Form der Demokratiesimulation gibt es kaum.

Die Herren und Damen Regierenden lade ich herzlich dazu ein, sich die Kommentare der Kids im Kiez mal anzuhören, die das Treiben durchschauen. Wie sollen die zu Verteidigern der Demokratie heranwachsen?

In den Medien werden derweil die wackeren Reedereichefs vorstellt und ihr Bemühen, Arbeitsplätze zu erhalten. Ihre Situation tut mir aufrichtig Leid und auch, wie hier Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt werden. Man spielt Schach mit uns, und die Journalisten scheinen mitzumachen. Das Argument der überhöhten Geschwindigkeit, der explosionsartigen Zunahme des Fährverkehrs in den letzten zehn Jahren, das den Verfall der vernachlässigten Ufer beschleunigt hat, steht fast nirgends mehr zu lesen.

Ein Kompromiss bestünde sicher auch darin, dass die Wasserschutzpolizei hier die Überwachung der Höchstgeschwindigkeit wieder einführte, denn das schützt vor weiteren Uferunterspülungen. Anstatt sich auf die "Verursacher zweiten Grades", die schweren Bäume, zu stürzen. Für deren Fällung plötzlich Gehälter von Polizisten aufgewandt werden.

Und wie gehen Paris oder Amsterdam mit dem Problem um? Hier sind unsere unterbezahlten Journalisten meist nur noch Résuméschreiber und Anrufer in einem Land, einer Sprache. Nicht ihnen gilt der Vorwurf, oder ihnen nicht allein: Auch hier Fehlinvestitionen, wenn wie in den audiovisuellen Medien die Verwaltungskosten explodiert sind und die Honorare gekürzt werden.

Vom Balkon am Maybachufer aus sehe ich die großen Zusammenhänge, die Kollision der Interessen, Machtverteilung und -missbrauch, geringen Respekt vor schützenswerten Gütern: Demokratie, kindlichem Zukunftsoptimismus, Natur und Informationsfreiheit.

Das gefällt mir alles gar nicht.