Donnerstag, 29. März 2007

Kultur(strand)gut

Das Bild ist klein und schlecht erhalten. Nichts dolles, denke ich, unsigniert, ich kann nicht einmal erkennen, von wann es ist. Immerhin eine nette Einladung, die Augen auf Spaziergang zu schicken. Der Keilrahmen ist grob und handgefertigt. Es könnte alt sein.

Das Bild wurde zusammen mit Pseudo-Malerei aus einem LKW geladen. Ich sehe es, der Trödler fängt meinen Blick ab und stellt es zu meinen Füßen ab. Zu wem gehört der Nachlass, will ich wissen. Ein Sportler war mit Mitte 50 tot umgefallen, kinderlos. Mein libanesischer Trödler guckt so komisch und macht eine Andeutung, als sei der Eigentümer schwul gewesen. Was stammt noch aus der Wohnung? "Viel schon verkauft!", so mein Trödler, "anderer Nachlass!", als ich prüfe, ob das, was noch im Wagen ist, ein Gesamtbild ergibt.

Das Bild hat eine gerade Linie auf der Mitte, als hätte jemand angefangen, das Bild zu restaurieren. So ein halb aufgearbeitetes Bild sah ich mal in einem Schaufenster eines Maler- und Restauratorenbedarfladens.

Ich kaufe fünf Bücher, darunter die Originalausgabe von "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque von 1929, wie sie auch im Deutschen Historischen Museum ausgestellt wird, sowie die Fortsetzung des Erfolgsromans, "Der Weg zurück" von 1931, ebenfalls eine frühe Ausgabe des Erscheinungsjahrs. Auf meine Frage: "Was möchten Sie haben?" ernte ich ein etwas knurriges: "Zwanzig!"

Ich denke ein fast zynisches: Wie schön, dass in meinem Multi-Kulti-Bezirk profundes Wissen über Kulturgeschichte kaum vorhanden ist. Und ärger mich über mich selbst, dass ich das Bild nicht besser verorten kann.

Als ich gehe, ruft er mir hinterher: "Dein Bild!" Ohne es zu merken, hatte ich es mitgekauft. (Hier - in Ermangelung bess'rer Technik - zunächst eine schlechte Fotografie. Draufklicken zum Vergrößern.)

Fremdsprachen müsste man können ....

Kein Französisch, aber irgendwie auch kein Deutsch, sondern schlicht und ergreifend juristisches Fachchinesisch ... Der Schreibtisch ist wieder blockiert.

VIII.3. Le Producteur garantit MAISON DE DISTRIBUTION :
- contre tous recours ou action que pourrait former à un titre quelconque, à l'occasion de l'exercice de ses droits par MAISON DE DISTRIBUTION en vertu des présentes, toute personne ou société ayant participé directement ou indirectement à la réalisation du film, et ...

VIII.3. Der PRODUZENT ist gegenüber VERLEIHFIRMA Garant:
- für den Fall jeder Art von Regress oder Aktion, die von jeder natürlichen oder juristischen Person, die direkt oder indirekt bei der Herstellung des Films beteiligt war, ausgehen und VERLEIHFIRMA an der Ausübung ihrer Rechte, die ihr mit dem vorliegenden Vertrags übertragen werden, stören könnte und ...

Dazu im Radio (SO sagen es zumindest die deutschen Sprecher):

( ) Camille son son (sein Ton oder seine Kleie)
( ) Camille Saint son (der heilige Ton oder die heilige Kleie)
( ) Camille son cent (Camille seine hundert?)
( ) Camille son sein (Camille seine/ihre Brust ?! wie?)
( ) Camille sans sens (ohne Sinn - Unsinn!)

Zutreffendes bitte ankreuzen ...
Jaja, das Französische hat halt vier Nasale :-)

Dienstag, 27. März 2007

Mittagsstimmung

Von draußen wehen ein warmer Frühlingswind und Geräusche herein, Worte, Fetzen von Gesprächen, zum Glück ist nichts zu verstehen.
Einer repariert im Hof ein Kinderfahrrad. Diana aus dem Nachbarhaus kommt aus der Schule. Ein anderer übt Oboe, Läufe und Partituren. Der Kameramann aus dem Erdgeschoss hat früh Feierabend. Zwei Mütter sprechen am Sandkasten über Kindergärten. Irgendwo schleudert eine Waschmaschine. Die Vögel sind schon leiser geworden, es geht auf Mittag. Und ich muss Vorhänge vorziehen, damit die Sonne mich nicht blendet.

Samstag, 24. März 2007

Überdeutsch

Jetzt noch 'ne kleine Runde bashing gegen uns selbst, gegen uns Wortverkäufer, Journalisten, Dolmetscher und Übersetzer. Woher diese Angriffigkeit an diesem schönen Sonnabend nach Donnern am Donnerstag und einem halb freien Freitag? Vermutlich, weil mein Rechner zickt und ich in der Wartezeit auf Erklärung alte Dossiers ausmiste, dabei viele schöne Projekte sehe, aus denen nichts wurde, Themen, die unbearbeitet blieben. Und dann in den Medien Halbgares höre, schlecht gesprochen, langweilig verpackt, lausig getextet.

Nein, keine Namen. Nur Worte:

Das Desaster ist vorprogrammiert. - Klar, etwas ist programmiert, damit es später auch klappt, also VOR streichen.
Man kann viel in den Film hineininterpretieren. - Ach ja? Lieber Filmkritiker am Mikrophon, ich wüsst' gern Deine Meinung. Also bitte "ich" statt "man". Dann hätte ich gern Deine Version gewusst. In gute Werke können Leser ihre Sichtweise hineinlegen, das ist bekannt. Und das heißt dann Interpretation, nicht Hineininterpretation.
Die Positionen nähern sich aneinander an. - Okay, dann freu'n wir uns über die Aneinanderannäherung.

Das ist einfach too much. Überinterpretiert. Überdeutsch also.

Manche Leute machen auch einfach zu viel im Job. Und sind dann nicht mehr gut.

Freitag, 23. März 2007

Alle Wetter, Uli!

Der Moderator vom Lokalsender Charlottenburg, aufgegangen im rbb, Herr Uli Zelle, erfand bei der Weißbärenreportage angesichts blauen Himmels den Spruch: "Wir haben Knutwetter!" Alle Wetter, Uli. Das hat uns gerade noch gefehlt, wie die vielen Jahrzente lang das Kaiserwetter.

Wenn sich nur halb so viele Leute für die Klimawende intressieren würden wie für den zotteligen Wicht, um dessen Herkunftsregion es doch geht ...

Filmtipp in Neukölln für Sonntag, 19.00 Uhr

self STORAGE

Hohe Mieten und knapper Wohnraum sowie der Trend zu einer mobilen Lebensführung machten nicht nur in New York privat genutzte Lagerhäuser - self storages - zu einem blühenden Geschäftszweig. Der Dokumentarfilm von Ingrid Molnar aus Hamburg zeigt diese Räume und dabei unterschiedlichste Schicksale und Lebensentwürfe, kurz: Einblicke in eine sehr private Sphäre.

Der Film läuft zur Finissage der Ausstellung IDENTITÄT im Kunstraum t27: http://www.kunstraumt27.de/profil.html

Mehr zum Film hier: http://www.kunstraumt27.de/vorschau.html

Die Regisseurin Ingrid Molnar, eine Wienerin mit Wohnort Hamburg, wird anwesend sein.

Hausgeister

In jedem Haushalt Europas befindet sich mindestens eine Sache von Ikea, selbst bei der Queen of England (ein Bilderrahmen soll es sein, da kam am Rande der Dreharbeiten zu "The Queen" heraus). Und in jedem dritten Haushalt Europas steht ein Billy-Regal.

Bei mir auch. Das kaufte die Firmenpartnerin für die Filmproduktion. Es sind nur Filmsachen drin, das Regal steht im steuerrelevanten Arbeitszimmer.

Unlängst wollte ich umräumen. Die Regale wanderten an die Wand, an deren Fußleiste ein Rohr entlangführt, das warm war. Es ist ein Heizungsrohr.

Morgens und abends nun hörte ich, wenn ich in der Küche saß oder in der Wanne lag, gelegentlich aus dem Arbeitszimmer Schüsse. Und zwar immer zu Zeiten, in denen ich nicht im Zimmer war. Es ging Tage so. Morgens ging ich furchtsam hinein. Es hatte sich nichts geändert. Einmal öffnete ich beim Schusswechsel vorsichtig ich die Tür. Niemand war hier verschanzt, Tote gab es auch nicht zu beklagen.

Letztens machte ich abends Überstunden. Die Heizung war schon abgedreht. Und ich hörte: Da sitzt ein Klopfgeist im Regal. Das Rohr ist dran schuld.

Was tun? Ingrid aus Hamburg sagte: "Du verlierst dabei wertvolle Energie ... oder tu nichts rein auf die Regalflächen unten!" Das Energieargument ist gut, aber hast Du schon mal gewogen, chère Ingrid, was Festivalkataloge, Filme und Akten so bringen an Gewicht? Ich hab Angst, dass, wenn ich unten nichts reinpack, mir die Dinger in die Knie gehen!

Wegstellen? Mir gefällt die neue Ordnung viel besser.

Gestern hab ich, einer Laune folgend, das besonders Laute einfach mal kurz in seiner Statik bedroht. Das ging auch ohne vorheriges Ausräumen, das Regal war nur zu Dreiviertel voll.
In der Absicht, es ein wenig von der Wand wegzubekommen, zog ich dran, schob, rüttelte, es war einfach zu schwer. Drohte zu verkeilen. Knirschte - und steht jetzt leicht schief.

Aber der Erfolg war und ist phantastisch. Der Klopfgeist ist sehr viel leiser geworden und hat die Schusswaffe gewechselt. War es vorher mindestens eine Magnum, ist es jetzt maximal ein Knöchelchen. Mit solchen Hausgeistern müsste auch die Queen leben können in ihren Möbeln, die nicht vom skandinavischen Einrichter sind.

Donnerstag, 22. März 2007

"Ber"

Das Wort “ber" ist mittelhochdeutsch und aus ihm wurde "Bär", was "der Starke/Tapfere" bedeutet. Genau ein solcher macht nun, dass Berlin kopfsteht. Und das Tier muss jetzt ganz tapfer sein.

Schon auf der BERlinale sah ich etliche Schriftzüge auf den Plakatwänden mit "Welcome Knut" drauf und war dankbar, dass ein Kollege aus Paris sie mir erklären konnte. Dann schickten alleinstehende Freundinnen aus New York Links mit Fotos. Jetzt weiß es jedes Baby: Eine schneeweiße Miniausgabe des Berliner Wahrzeichens lebt seit Dezember im Berliner Zoo.

Seit die Teddies aus Kindertagen im Pappkarton fürs Sentimentale verschwunden sind, hat kaum ein Pelzmini ausgewachsene deutsche Herzen derart hoch schlagen lassen. Es ist, als hätte diese Gattung hierzulande eine andere Bedeutung. Vielleicht stimmt das sogar, die Welt verdankt Deutschland immerhin die Spielzeugvariante des Raubtiers, den Teddy Bear! In unseren Breiten wachsen indes nur selten welche auf - und werden dann als durch die Gegend marodierende Exemplare allenfalls zu 'Problembären', wie der Braunbär vergangenes Jahr, den am Ende die Kugel aus der Flinte ereilte, weil er den Menschen zu nahe kam. Vermutlich hielt er sich selbst für einen solchen.

Dieses Schicksal wird nun auch für Knut diskutiert. Es sei gegen seine Bärennatur, ihn von Menschenhand großziehen zu lassen, wo seine Mutter ihn verstoßen hat. In freier Natur wäre er gestorben - sagen die einen. Seine Mutter hätte ihn DORT aufgezogen - die anderen. Mancher Tierschützer würde dieses Eingreifen des Menschen jetzt gern "korrigieren". Denn das Tier müsste ausgewachsen jedes Mal ganz schrecklich leiden, wenn sein Pfleger es allein im Käfig zurücklässt. Er wisse ja nicht, dass er kein Mensch ist. Und für eine lebenslange WG sei das Tier einfach zu gefährlich. Da klingt fast wie Hohn, dass Starfotografin Annie Leibovitz ihn zu Wochenanfang für eine Tierschutzkampagne fotografiert hat.

Der Bär scheint unser liebstes Tier zu sein, gerade, weil wir ihn nur aus der Ferne sehen können. Umso kompakter wird er in unserer Wahrnehmung, wenn er morgens jetzt fast täglich auf der Titelseite der BLÖD abgebildet ist mit seinen tapsigen Pfötchen und viel süßer ist als die brust- und pofreien Schönheiten sonst. Und wenn wir uns Knutberichte ausschneiden, wie die Bäckerin in der Ohlauer Straße neulich, über "Seine erste feste Nahrung". Ein Bär, das hat etwas vital Elementares, das wissen wir spätestens seit der "Bärenmarke" auf der typisch deutschen "Kaffee(-und-Kuchen")-Tafel.

Und so wurde Knut(schi), das weiße Tierchen, das so aussieht wie ein Signet seiner Art, das sich aber auch bewegt, frisst, kackt, in wenigen Wochen zum kollektiven TV-Tamagotchi der kinderlosen Generation mit prekären Kulturjobs. Und den jetzt ermeucheln? UNSEREN Knut?

Sogar die Weltpresse steht Kopf. In Paris springen die kanadischen Korrespondenten wegen des vermeintlichen Bärentötungskomplotts ins Flugzeug, noch bevor ihre Berliner Rechercheure (in aller Bescheidenheit: wir) den Wahrheitsgehalt dieser 'news' überprüft haben. Währenddessen brechen im Zoo Telefonleitungen und die Webseite zusammen. Bis jetzt ist nur klar, dass Bärli morgen seinen ersten offiziellen Pressetermin hat. Rendez-vous 07:30 A.M. im Zoo ...

Das ist mir zu früh. Ich könnte mir den Luxus eines Taxis leisten, Sender zahlt ja. Dann käme wahrscheinlich ein Benz - und damit wär’ ich immer noch beim Thema, denn wahrscheinlich hat sich das Wort "Benz" aus dem alten Wort "Beran" weiterentwickelt. Und aus dem wurde auch das mittelhochdeutsche "Ber" ... Der Deutschen liebstes Kind, jetzt wissen wir’s, ist der Bär.

P.S.: Der rbb hat jetzt sogar einen Knut-Weblog, da schreibt der Bär noch höchstpersönlich ...

Dienstag, 20. März 2007

frühlingsanfang

vor einem jahr:

endlich frühling

im morgenlicht treiben die letzten schollen
des winters den landwehrkanal hinunter.
auf der größten sitzen zwei enten und
segeln flussabwärts im dunklen kleid.
auf der zweitgrößten sitzt ‘ne möve
und putzt sich ihr gefieder blank.
das weiß ihres kleides schmerzt
meinen müden augen sehr.
die dritte scholle indes ist
nur noch ein splitter.
darüber die weide
trägt plötzlich
zartgelben
flaum.


Samstag, 17. März 2007

Filmtipp für morgen: "Alle Zeit der Welt"

Schaue ich vom Balkon auf die andere Uferseite, sehe ich auf Matls Balkon. Aber nur im Winter und in der Übergangssaison je nach Blattstand. Matl Findel ist Regisseur. Ich hab ihn 1989 in Paris kennengelernt, als er mit anderen Studenten der (West-)Berliner Filmhochschule dffb in Paris zu Gast an der Fémis war.

Morgen, Sonntag Abend wird einer seiner Filme gezeigt, auch gleich in der Nachbarschaft:
"Alle Zeit der Welt" läuft um 20.00 Uhr, Herstellungsjahr: 1997, Dauer: 88 min.
Mehr über den Film:
http://www.fdk-berlin.de/forumarchiv/forum98/alle-zeit.html
Ich erinnere mich, er lief damals auf dem Forum der Berlinale. Es ist ein zärtlicher, poetischer und sehr genau beobachtender Film, Berlin und ein fast emotionsloser, merkwürdiger Hund spielen die Hauptrolle. Die Stimmung der Stadt vor fast zehn Jahren wird jeder, der damals hier gelebt hat, wiedererkennen.

Ort: regenbogenKINO. Das Kino ist Teil des Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrums Regenbogenfabrik in Berlin-Kreuzberg, Lausitzer Straße 22 http://www.regenbogenkino.de/

Der Regisseur des Films wird anwesend sein.

Freitag, 16. März 2007

Das andere Ufer

Nach einer Woche mit sanften Temperaturen ist die Berliner Frühjahrskälte wieder da. Ich kann mich an keine Stadt erinnern, in der ich im Frühling derart gefroren hätte wie in Berlin. Die Quecksilbersäule fällt besonders nachts in den einstelligen Bereich. Die Felljacke, die kurz im Schrank hing, ist wieder in Gebrauch.

Schade. Letzten Dienstag hatte ich noch die neuen Maybachterrassen genossen und viele mit mir. Am Ende des türkisch dominierten Wochenmarktes gibt es seit einiger Zeit einen Stand mit Biobrot und -kuchen sowie einen mit Kaffee. Und direkt dahinter beginnt schon die erste Maybachterrasse, die über die Böschung ein wenig in den Kanal hineinragt. Von ihr aus bietet sich ein besonders schöner Blick über das Wasser.

Die Terrassen (einen Kilometer weiter östlich gibt es noch eine) sind neu und Ergebnis der sozialen Stadtentwicklung. Das mehr als anderthalb Kilometer lange Maybachufer war heruntergekommen. Idyllisch am am Landwehrkanal lag nur der sogenannte "Kreuzberger Wochenmarkt", der in fast jedem Reiseführer aufgeführt ist - für uns Anrainer manchmal ein Ärgernis, denn von ihm blieb oft mehr Müll übrig, als es wirklich schön war, auch, nachdem die BSR ihre Schicht gefahren hatte. Die Strecke mit fünferlei Pflaster und vielen Schlaglöchern lud zur wilden Müllabladung ein. Der denkmalgeschützte Uferbereich verwahrloste immer mehr. Dennoch blieben die Gründerzeithäuser mit unverbaubarem Wasserblick eine gesuchte Wohnlage.

So war es am der Zeit, dass (auch) mit Geldern der EU die Uferpartie umgestaltet wurde. Insgesamt eine Million Euro wurde verbaut, laut Quartiersmanagement ein Achtel dessen, was die Umgestaltung in eine richtige Spielstraße mit Promenade gekostet hätte.
Aus der Not wurde eine Tugend gemacht: auch die Ideen der Anwohner waren gefragt. Sommer 2002 kam es zu einem ersten Bürgerverfahren. Dabei wurden auf der zu diesem Zwecke für die Dauer eines Wochenendes stillgelegten Straße große Zelte aufgeschlagen, Büdchen mit Getränken, ein Teil Flohmarkt, ein Teil Selbstgebasteltes, Geschäfte der Nachbarschaft stellten sich wiederum an anderen Ständen vor. Das Kiezfest stand unter dem Motto "Ran ans Ufer". Am Spannendsten fand ich das Zelt mit der Ideenwerkstatt. Da wurde ein Modell des Kiezes mit Miniaturen, die hier entstanden, verändert und dabei den Ideen freier Lauf gelassen: anstelle der Bäume säumten plötzlich Palmen das Ufer, die alte "Bedürfnisanstalt" wurde zum Bootshaus, jemand bastelte Terrassen, die über das Wasser reichten. Wer nicht Hand anlegen wollte, konnte seine Ideen in eine Kamera sprechen.

2004 kamen die Bauarbeiter, pflanzten Bäume, erneuerten teilweise das Pflaster, legten die Parkflächen "quer", denn Autos gibt's hier leider genug, dafür ist eine schmalere Straße nicht so zum Rasen geeignet wie die alte, breite. Seit letztem Jahr ist alles fertig.

Jetzt muss es nur noch wieder wärmer werden.

Donnerstag, 15. März 2007

Die K-FRAGE

war früher eine andre. heute: sag' mir, was du isst, und ich sag dir, wer du bist.

Lulu: Will I find anything in that ice box of yours?
Pat: Yeah, cobwebs and a bottle of gin.
Aus "Women" von Georges Cukor (1939)

also: was ist im kühlschrank? spinnweben und eine flasche gin, lautet die replik bei cukor. auf die tür, ich bin selbst überrascht, wie viel drin ist: oliven (alt, zu alt), paprika (gelb, frisch), kokosmark (vom jahresanfang, aber hält sich getrocknet), salatöl (irgendwie besondere mischung, flasche vergaß ich, seit wann?), 1/2 gar nicht alte flasche gemüsesaft, natursauer vergorenen, 1/2 glas tomatensauce scharf, 1/2 glas tomatenmark, 1/2 glas pesto, 2 sorten käse zum brot, parmesan, drei eier, rest biobutter aus dem reformhaus (pflanzlich), 2 x reisdrink, eins davon offen, gemahlener kaffee in der dose, drei highlighter-stifte, soja-sauce kikkoman, chili-sauce, colman’s mint sauce (die ich mich nicht getraue, zu öffnen, bestimmt furchtbar, aber ich wollte in london noch was kaufen, das es garantiert nicht bei uns gibt), worcester sauce, fischsauce, ein mini-fläschchen martell-cognac XO (probierfläschchen vom dolmetschen übrig, 40 % alkohol, damit desinfiziere ich schnittwunden am finger vom papier), 1/2 zitrone, 1/2 avocado, beides für morgen, 1 schächtelchen mit cashewbruch (wird so nach und nach verknuspert), apfelgelee vom weihnachtsmarkt (mit sherry, vor kurzem geöffnet), schwarze johannisbeermarmelade, grapefruit marmelade, tomate-feta-brotaufstrich, sahne-meerrettich, das meiste bio. im TK-fach: saucen, kartoffelscheiben, miniportionen gekochter linsen und kichererbsen für die schnelle küche, reste von selbstgekochtem.

Dienstag, 13. März 2007

Frühling in Neukölln

Während draußen die Krokusse frech durch die Grasnarbe stoßen, sitze ich in der Bude und quäle mich noch immer mit Filmlizenzrecht und -abrechung rum, Worten wie Produktionskostenschlussstand, Ziehungsgenehmigung, IT-Spuren oder auf Französisch PAD, agrément du film, VF ST anglais etc.

Aber Mittags war ich im Licht, Berlin wirkt mediterran bei so vielen Spaziergängern. Die ersten T-Shirts gesichtet, etliche aus Neukölln mit frechen Sprüchen drauf. Auf der Friedelstraße, einem der Hauptboulevards im Reuter-Kiez, ist inzwischen in der Nähe der Ohlauer Brücke jeder zweite Laden ein Café, Galerie, Modeladen/Atelier von Designern, Privatclub von Kulturschaffenden, Büro, Antiquariat, kurz: aus der Kulturwirtschaft und der hippen Freizeitindustrie, die hier gar nicht glamourös daherkommt. Aber ich mag die schnörkellose Ehrlichkeit hier auf Dauer lieber.

Einen Laden gesehen, in dem ein modisches Shirt beim Hersteller 24 Euronen kostet. In Mitte letzte Woche etwas in der Art 120.

Sonntag, 11. März 2007

Ode an den Sekretär

Hier sitz ich, tage-, wochen-, jahrelang.
Du bist immer hier. Wartest geduldig.
Nimmst mir nichts übel. Nicht
Meine Launen, meine Unruhe. Mein
Fernbleiben und die Rückkehr.

Dein Holz ist weich und glatt und warm.
Dein Licht erfreut meine Augen.
Deine Form beschwingt mein Gefühl.
Du bist leicht und solide zugleich. Klar
Und verspielt. Ein Ort der Heimat.

Samstag, 10. März 2007

Zwei Joggerinnen bei Dehnübungen II

Die eine: Und, woran hat's gelegen?

Die andre: Da, wo andre ein Herz haben, hat er ... eine Ladenkasse.

Freitag, 9. März 2007

Was hier entsteht ...

... als Antwort einen Blick auf den Schreibtisch:
Producteur exécutif - Line Producer (auf Deutsch!)
Producteurs associés - Associate Producers
Producteurs délégués - Ausführende Produzenten
Übersetzung für einen Abspann, könnte ein Filmwörterbuch werden.
... durch die Vermarktung des Films auf allen möglichen Datenträgern und videografischen Formaten, ganz gleich, ob die Aufzeichnungstechnik magnetischer, optischer oder digitaler Natur ist (Videokassetten, Videoplatten, DVD, HD-DV ...
Filmverträgliches aus dem Französischen.
Dokumentarfilm boomt - und in Zeiten von "Docu Soaps" und "Non fiction program" leider auch die Begriffsverwirrung. Dabei ist der "Standpunkt" offenbar ein wichtiges Moment, das Genre von den vielen "Spin-Offs" zu unterschieden. Die Frage nach dem Standpunkt impliziert die Absichten der Macher – sie sind es, die Kameramann und Filmemacher lenken, wenn sie nach dem für sie richtigen “Ort” für die Kamera suchen, auch das ein Standpunkt ...
Hochschulseminar

Spätschicht

Das Licht der Erkenntnis - oder doch wieder nur der Glühbirne?

Mittwoch, 7. März 2007

Mein Schreibtischstuhl

Das wichtigste an meinem Arbeitszimmer ist der Blick in den Himmel. Ich neige zum Frieren und wärme mich sogar an in der Ferne gesehenen Frühlingssonnenstrahlen.

Das zweitwichtigste ist der Schreibtischstuhl. Den bekam ich geschenkt. Und das kam so:
Eines Tages vor nicht allzu langer Zeit, ich wollte mich gerade auf meinen Sessel flezen, ein Bein untergeschlagen, auf dass der Schenkel den Fuß wärme, da gab dieser unter mir nach. Geistesgegenwärtig hielt ich mich an der Tischkante fest, der Stuhl flog hinter mir weg. Die Sachen, die auf der Schreibtischplatte stehen, gerieten mitsamt der Platte kurz ins Wanken.

Ich besah mir das Desaster näher: Ein Haarriss in der Stange, die im Schaft steckt, um die Sitzhöhe zu variieren, hatte sich mit der Zeit zum Bruch entwickelt. Irreparabel, det Dingen. Ich trug es runter zum Müll. Und setzte mich auf den Küchenstuhl.

Eine halbe Stunde später fand ich eine Mail im Postfach: "Bürostuhl zu verschenken". Ich rief an - es handelte sich um eine Kollegin im weitesten Sinne, sie arbeitet im gleichen Bereich, wir waren uns noch nie über den Weg gelaufen. Und nun kommt's: Sie wohnt in Sichtweite, auf der anderen Uferseite, genau fünf Hausnummern weiter. Schon beim Telefonieren konnten wir auf den Balkon gehen und einander zuwinken. Den Stuhl besah ich mir fünfzehn Minuten später und trug ihn dann durch den Schnee nach Hause.

Wie dieses Wunder möglich war? Zufall.

Zufall und freecycle, eine Gruppe im Internet. Hier pinnen Leute die Dinge an die virtuelle Wand, die sie gern verschenken würden. Alte Sachen, die noch gut sind, aber die man dennoch nicht mehr braucht. Gegenstände, zu schade für den Müll, die andre erfreuen. So wie mich mein neu-alter Stuhl. Keine Stunde nach dem Bruch des alten Schreibtischsessels saß ich auf dem Ledersitz des neuen, ebenfalls höhenverstellbar mit Gas-Lift!, und konnte weiterarbeiten, eine knappe Stunde, nachdem der alte Stuhl gebrochen war. So schnell schafft das kein Kaufhaus!

Links: Freecycle Deutschland
Freecycle Berlin

Montag, 5. März 2007

Fremddeutsch II

Am Abend am Maybachufer: Ich klöne mit einer Nachbarin auf der Straße, da kommt eine Familie vorbei. Der Filius ist um die drei, Daddy hält ihn auf dem Sattel des Kinderrades fest und ruft: "Gib Fuß, gib Fuß!"
Er meint wohl, dass das Kind in die Pedale treten solle.

Die Mutter läuft in den Hausflur und sagt dabei: "Isch muss noch Post gucken!", analog gebaut zu "Fernsehen gucken", nur das es nach der Post sehen heißt und im Deutschen auch Artikel gebräuchlich sind.

Die Nachbarin, selbst Mutter eines Kleinkindes, mutmaßt, es handele sich um eine türkische Familie, die jetzt mit ihrem Kind Deutsch sprechen würde, um die Integration zu erleichtern.

Dazu ein anderer Nachbar: "Zufällig kenne ich die Familie. Seine Muttersprache ist Arabisch, ihre Türkisch, daher ist die Umgangssprache der Familie Deutsch. Die Kinder, sie haben drei, beherrschen drei Sprachen nur bruchstückhaft, wenn die Infos meiner Kolleginnen stimmen." Der Mann arbeitet als Sozialarbeiter im Kiez.

Freitag, 2. März 2007

Meine Lieblingsnachbarn

Über keifende Nachbarn hab ich früher immer gelacht. Oder über solche, die wegen Lappalien vor den Kadi ziehen. Die unfähig sind zu normalem zwischenmenschlichem Umgang.

Ich werde meinen Nachbarn aus dem Erdgeschoss bei der Polizei anzeigen. Wegen keiner Lappalie: Hausfriedensbruch und Diebstahl. Und das kam so:

Unsere Keller sind nicht gerade ideale Lagerstätten für alles, was empfindlich ist, in Berlin ist der Grundwasserspiegel hoch, das Wasser hier besonders nah an der Oberfläche. Einmal kam Hochwasser - so blieben nur Dinge aus Metall im Keller stehen: Eine Gasheizung für die Datscha, ein Metall-Blumenständer zum Aufarbeiten, das Alu-Gästefahrrad, der Universal-Dachgepäcktrager. "Isch habe gar keine Auto", dafür einen Gepäckträger, den sich auch gern mal Freunde leihen. Das Ganze auf Industriepaletten.

Dann hatte ich jahrelang viel zu tun, neue Firma, neue Liebe, neue Jobs in alten und neuen Städten. Die flexible Arbeitnehmerin sucht den zur der (Arbeits-)Wohnung gehörenden Keller nur selten auf, kommt und geht zu Zeiten, in denen andere vor der Glotze hängen. Hält sich nicht lang auf beim Tratsch mit den Nachbarn.

Dann wieder Hochwasser. Als alles trocken sein musste, nach weltrekordverdächtigem Sommerwetter, wollte ich den Blumenständer aufarbeiten. Ging in den Keller - und fand ein fremdes Schloss an der Tür vor. Die Lücken zwischen den Ritzen zu - von innen ist Teppich dagegengeklebt.

Nach einiger Recherche kam heraus: Der feine "Herr Hartmut" aus dem Erdgeschoss hat sich meinen Keller genommen. Je nach Variation erzählt er nun:
a) der Keller sei offen und leer gewesen
b) der Keller sei von der Hausverwaltung wegen eines defekten Rohres geöffnet worden
c) wie b, dabei war der Keller mit Sachen zugestopft
d) wie b, dabei war der Keller leer

Alles keine Gründe dafür, sich einfach einen Keller mit Namensschild dran anzueignen. Die Hausverwaltung hat mir nun im Austausch "Abteil Nr. 14" angeboten, und das sagt schon viel: Das Abteil ist klein, außerdem haben die früheren Reisenden des Abteils ihren Müll darin hinterlassen, es ist weder beleuchtet (wie mein Keller einst durch das Flurlicht) noch sauber oder abgeschlossen und schon gar nicht mit meinen Sachen befüllt.

Nun gehen Briefe hin und her. Die Hausverwaltung scheut die Aktion, sich mit Herrn Hartmut zu zoffen. Irgendwann wollte sie die Miete um 15 Euro erhöhen, darauf ich: "Nicht ohne meinen Keller!"

Und Herr Hartmut und seine Gattin erdreisteten sich mich anzubrüllen: "Du hast dich nicht um deinen Keller gekümmert, als Du im Gefängnis warst."

Ich: "Wo war ich bitteschön?"

Die Gattin: "Im Gefängnis. Du hast doch gesessen!"

So, liebe Nicht-Neuköllner, wirkt also berufliche Flexibilität in den Augen der Unterschicht. Wer nicht zu Hause sitzt und TV guckt, seine Kinder kujoniert, mit Nachbarn streitet und zur besten Arbeitszeit im Treppenhaus gesichtet wird, der oder die kann eigentlich nur im Gefängnis sitzen. Voll logisch, oder?

Der Gang zur Polizei ist die schiere Notwehr, ja, und spießig darüberhinaus, ich geb's zu.