Donnerstag, 28. Dezember 2006

Der Fühlgutfaktor

"I feel good" sagt James Brown in den Archivaufnahmen - und der Journalist des ZDF heute-Journals gibt die Worte des "Godfather of Soul" wieder mit "Ich fühle mich gut". Dem Jazzmusiker war anlässlich seines Todes am 24.12.2006 ein kurzes Portrait in den Nachrichten gewidmet, und ohne, dass es der Redaktionsleitung aufgefallen wäre, wurde an Heiligabend falsches Deutsch zur Hauptsendezeit ausgestrahlt.

Die wörtliche Übertragung des Zitats fällt unter den Begriff "Synchrondeutsch" - früher hätte man wohl ohne zu zögern gesagt: "Es geht mir gut". Aber die immer schneller übersetzten und synchronisierten Programme nordamerikanischer Provenienz, dazu die Einflüsse von Werbe- und Gruppensprachen und nicht zuletzt die Verbreitung des Englischen als lingua franca der Wirtschaft haben unser Sprachgefühl verändert.

I feel good - auch die ARD bringt diesen Ausdruck, wenn sie Kanzlerin Merkel am Tage ihrer Wahl auf der eigenen Webseite so wiedergibt: "Lächelnd, aber unaufgeregt wie gewohnt, nahm sie Wahlergebnis und Glückwünsche entgegen. "Ich fühle mich gut", war das, was sie nach ihrem Triumph zu sagen hatte."

Angelas Ausspruch “war in 2005" - oder ließ sie ihn "im Jahr 2005" vom Stapel? Oder einfach nur: "Das war 2005" - inzwischen ist die gute Gefühlslage möglicherweise nicht mehr so eindeutig. Sind wir uns da sicher? “Nicht wirklich!” ... (not really). Oder: "Das erinnere ich nicht!" (I don't remember that).

Autoren von Filmsynchronisationen müssen sich kurz fassen, wenn die englische Vorlage kurz ist. Sie sind gehalten, am besten sogar lippensynchrone Übertragungen zu finden. So hören wir "in Deutsch" immer häufiger Ausdrücke, die "in english" durchaus korrekt sind - und auf Deutsch für viele immer seltener falsch klingen.

Paradoxerweise gelangt Synchrondeutsch sogar in die geschriebene Sprache. Immer häufiger fallen seit einigen Jahren in der deutschen Sprache Bindestriche weg, die im anglophonen Raum wenig gebräuchlich sind. Das ist genauso Ausdruck derselben Verunsicherung wie die inflationäre Zunahme falscher Apostrophs (wie sie auf Englisch durchaus richtig sind), "Moni's Schnellimbiss" beispielsweise.

Nett ist auch die "Baguette- and Croissanteria", eine Mischung von vier Sprachmustern (das implizite "Baguetteria" wäre der deutsche Beitrag), gesehen in der Berliner Kochstraße. Aber das ist ein anderes Thema.

Der Inhaber des Geschäfts ist übrigens türkischer Herkunft - und das Ladenschild sein persönlicher Beitrag zur internationalen Völkerverständigung unweit des "Checkpoint Charly" der ehemaligen Mauer.

Hoher Fühlgutfaktor also :-)

Dienstag, 19. Dezember 2006

Pause bei Neukölln-Themen: Recherche woanders

Infolge eines Artikelauftrages war ich auf einer anderen Baustelle unterwegs. Hier das Ergebnis.

Digital Love
Partnersuche im Internet


Protokoll: Caroline E.

Wenn du geliebt werden willst, liebe!
Seneca

"Und? Haste jemanden über deine Paarungsplattform gefunden?" Aus dem Telefonhörer blubbert's, Jamal liegt wie oft in der Badewanne, wenn er mich anruft. Eigentlich will er mir sagen, dass im Radio was über das akademische Prekariat läuft, aber der Beitrag ist zuende, als ich abhebe. Und da Jamal mein engster Freund ist, weiß er natürlich, was mich sonst so bewegt. Der abwesende liebste Mensch im Leben ist unser beider Dauerthema. Ich zögere.

"Oder hast du jemanden an der Käsetheke kennengelernt?" Jamal kommt in Fahrt. "Das glaub ich nicht. Kaum hast du dich dort warmgeflirtet, stürzt das Ehegespons mit einem Kräwäh im Schlepptau aus dem Gang mit den Ceralien und fragt nach der Farbe der zu kaufenden Schuhcreme. Oder Biergarten? Diesen Sommer hab ich meinen ganzen Mut versammelt und eine angesprochen. Sie hat mich nicht mal ausreden lassen. Der erste Versuch in achtunddreißig Jahren und gleich gescheitert!"

"Und Bars? Discos?" Ich versuche einen Ortswechsel. "Sophie, bei Deiner Allergie gegen Lärm und Tabak, vergisses!"

Mehr Personnality, bitte!

Jamal kennt mich gut. "Na, und? Was ist mit nun mit Matchhearts.de?" Seit zehn Wochen bin ich "ausgezeichneter Kunde", was bedeutet, das diese Firma jeden Monat den Gegenwert eines Restaurantbesuchs überwiesen bekommt. Dafür habe ich dort meine Seite mit Foto, auf der ich mich mit Beruf, Wohnort und Hobbies präsentieren kann. Nach zwölf Monaten Trauer über einen Mann, der mit seinen Ängsten und Verletzungen nicht klarkam, hatte ich befunden, es sei Zeit für Neues.

Die Währung in der Partnerbörse heißt Matchingpoints. Ohne eine hohe MP-Zahl läuft nichts. Deshalb steht am Anfang auch der Personnality-Test - auch wenn mir beim Wort 'Personnality' nur Zickenalarm in Hollywood einfällt. Der Test besteht aus vielen Fragen und Bildern, die anzukreuzen sind: Was ist für sie im Leben wichtig/unwichtig, welches ist ihre liebste Jahreszeit-Wohnsituation-Musikrichtung. Zwischendurch kommen Fragen zur künftigen Vereinbarkeit der Charaktere, die sich in Variation wiederholen: Plausibilitätsprüfungen, die das Schummeln erschweren sollen.

Ach, Jamal, nichts tut sich, die Kerle, die mich interessieren, antworten nicht und die Fotos von denen, die mich anmailen, naja.
"Jetzt hör endlich auf, immer nur aufs Äußere zu schauen!", schimpft Jamal. "Hättest du mir geschrieben bei meiner Gangstervisage, einem kleinen, dicklichen Mann mit hochrutschendem Haaransatz?" Hätt ich nicht. Er ist einer meiner engsten Freunde - und eben nicht mein Rosenkavalier. Insofern hinkt die Frage.

HP aus KWH und andere Visagen

Über die Partnerbörse "lerne" ich Klaus "kennen" (95 PM), den Oberarzt, der bald Kinder möchte, die Villa im Grunewald ist schon da. Nach drei, vier Mails schickt er mit sein Bildnis, das lässt mich eher an unseren Metzger denken. Oder Holger, der reisefreudige Lehrer mit seinem papierdünnen Mund, da helfen auch keine 94 Matchingpoints weiter.
Dann ist da aber auch Dennis (93 MP), Absolvent meiner Uni und sowas von gutaussehend! Er mag Nô und Kunst und Natur. Nach einigen Mails schläft der Kontakt ein. Eine andere scheint nicht dran Schuld zu sein, denn Dennis loggt sich regelmäßig ein, das Datum des letzten Besuchs ist auf seinem Profil vermerkt. Nur leider eben nicht mehr bei mir.
Nicht zu vergessen H-P (93 MP), Hans-Peter mit vollem Namen und mit Passbild vom Fotografen aus KWH - konjugiere: Königswusterhausen. Scheitel adrett, Kopf adrett, Kopfhaltung kokett, Lächeln nett - dafür auf dem zweiten Bild ein fettes Honigkuchengrinsen vor Plastiklattenzaun mit rustikalem Türgriff, der Unterarm dortselbst cool abgelegt. Ein ungelebtes Kindergesicht blickt mir entgegen, dem helfen auch Sonnenbrille und Tolle à la James Dean nicht auf. Der vierzigjährige Steuerberater wohnt noch bei Muttern, wie er schreibt, gerade wurde der Ausbau des Erdgeschosses fertig: "Jetzt fehlst nur noch Du!"

Nein, Jamal, Bildung schützt vor Geschmacklosigkeit nicht. Die meisten Mitglieder von Matchhearts sind studiert, "hier treffen sich Akademiker" lautet der Slogan der Börse. Das stimmt nicht, hier treffen sich vor allem Anwälte, Ingenieure und Kommunalbeamte. Historiker, Filmkritiker und Künstler sind rar.

"Sophie!" brüllt Jamal durch den Hörer, als würde er gleich ertrinken. "Hör endlich mit deinen Vorurteilen auf. Du hast vergessen, was ich beruflich mache!" Ja, er hat Recht. Als Informatiker spricht er eine Sprache, die ich nicht kann, dafür reicht sein Spanisch nicht weit. Aber er hat Humor und Allgemeinbildung. "Jamal, schimpfst du nicht selbst immer auf die Informatiktrottel um dich herum, die Soziophathen, die nur noch Datenbänkisch simpeln und denen die Frauen davonlaufen? Du bist eine Ausnahmeerscheinung!"

Was suchen wir im Leben? Ein Pendant, das einen ähnlichen Umgang mit den Menschen pflegt, das einen ähnlichen Stil und ein kompatibles Nähebedürfnis hat - es muss einfach eine genügend große Schnittmenge da sein. Matchhearts spricht sogar von einer wissenschaftlichen Glücksformel: Beziehungen seien immer dann besonders glücklich, wenn beide Partner gemeinsame Wertvorstellungen, Interessen und Ziele haben. Bei mir sollte es jemand sein, der Verständnis für die unregelmäßige Arbeitszeit einer Freiberuflerin hat, denn ich arbeite als Kuratorin. Ein Mann, der seine Wünsche äußert und umsetzt, maßvoll träumt und weiß, wie kostbar Freiräume sind ... Und der bedingungslos zu mir steht, nicht von einer 10jährigen Krawallmieze terrorisiert wird und ohnmächtig die eigenen Grenzen verliert, wenn diese Erpressungsmethoden der Ex-Gattin nachahmt.

Fragen über Fragen

Laut Eigenwerbung des elektronischen Matchmakers hat sich inzwischen jedes siebente Paar im Netz gefunden. Wo bildet der Fragebogen meine Suche nach freundschaftlicher Liebe samt Ecken und Kanten ab, nach gegenseitiger Anerkennung und Respekt, Gelassenheit und Naturnähe? Über diese Punkte erfahre ich etwas unter "Selbstdarstellung". Hier dürfen Sätze ergänzt werden, die aus der Ferne an Prousts Fragebogen erinnern. Mit dem Problem, dass die meisten Männer, wenn überhaupt, nur wortkarg antworten, als stünde über den Fragen in Geheimschrift: "Scha-hatz, was denkst du gerade?"

Ergebnis: nach mehr als zwei Monaten im Netz immer noch kein Date. Vielleicht hab ich im Frust beim Psychotest falsch geantwortet? Wibke, die Freundin meines Bruders, macht ein Praktikum bei Matchhearts.de, und obwohl mein Abo noch zwei Wochen läuft, halte ich jetzt einen Gutschein über drei Monate Gratismitgliedschaft in der Hand. Ich wage es ein zweites Mal und tue so, als sei ich neu hier.

Im Vergleich zum ersten Fragebogenausfüllen bin ich viel entspannter. Mir gehen nicht laufend die Streits durch den Kopf, die mein damaliger Freund vom Zaun brach, weil er irgendwann alle gebärfähigen Weibchen in den Generalverdacht des Hausfrauentraums nahm. Nicht die Hektik des Alltags, in der wir gelebt haben, während jeder an seiner Karriere bastelte, nicht das zickig' Töchterlein, das nichts unkommentiert ließ. Den ersten Test hab ich noch in Abgrenzung zu alldem ausgefüllt; jetzt bin ich offener. Die Fragen provozieren vor meinem geistigen Auge andere Situationen, sie beziehen mein Vorleben stärker ein, auch mein Dauerflirt Jamal kommt vor sowie der große Unbekannte. Ich muss sogar ein paar Mal schmunzeln.

Dann geschieht ein Wunder - im Bereich der Matchingpoints. Was mir bisher nie gelang, hier ist es Wirklichkeit. 100 MPs verbinden mich mit einem Baden-Württemberger. Huch, was will ich denn da? Nachdem ich geprüft habe, dass dieses Schätzchen nichts für mich ist – auf die Frage nach dem Lieblingsbuch schrieb er: Lesen, was ist das? – stelle ich mein Jagdgebiet auf Ost ein und nur Ost, weder Schweiz noch Österreich oder sonstiges Ausland, obgleich ... nun, Spanien ist nicht einzeln vermerkt, also bleibe ich hart.

Die Überraschung setzt sich fort. Etliche Kandidaten bleiben übrig mit 99 und 98 Punkten, sogar in Berlin. Das hatte ich bislang nicht. Ich vergleiche die beiden Profile. In den Feldern Einfühlungsvermögen, Wachstum, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit habe ich dieselben Ergebnisse.

Konventionell kommt an

Aber dann: Jetzt suche ich offenbar (wieder) mehr Nähe, der Indikator ist gesprungen. Und im Bereich "Autarkie und Versorgung" wies mein Profil vor zehn Wochen "eine mittelhohe Ausprägung in Richtung Autarkie" auf. Gleichzeitig attestierte mir Matchhearts damals in einem Erklärungstext, dass ich nicht so viel Geborgenheit suchen würde.
Jetzt lesen sich meine Antworten mehr wie die klassische Rollenverteilung: drei von maximal fünf Punkte in Richtung Versorgungswünsche, auch hier wieder gleichgesetzt mit dem Wunsch nach Nähe und Geborgenheit: "Sie sind sehr fürsorglich und möchten mit Ihrem Partner viel Zeit verbringen."
Ich verstehe beide Ergebnisse, das neue wie das alte. Damals musste ich mich absetzen gegenüber einem Mann, der sich mit den Jahren immer mehr zum Erbsenzähler entwickelte. Eben noch großes Herz, rechnete er am Ende einer quälend langen Scheidungszeit der Ex-Gattin jedes Glas Milch hinterher, das sie während des Kindchenausbrütens verkonsumiert hatte.

Und was hat sich geändert? Ich muss mich nicht mehr von früh bis spät als Erfolgsfrau beweisen, die ich trotz des geisteswissenschaftsfeindlichen Arbeitsmarkts bin. Und ich lege nach der Erfahrung mit dem Erbsenzähler Wert auf ein großzügiges Gegenüber, so, wie ich auch eines bin, wenn meine Auftraggeber regelmäßig zahlen. Nur leuchtet mir nicht ein, warum Matchhearts die Wünsche nach Versorgtwerden und Nähe als ein- und dasselbe einstuft. Worin widerspricht mein Nähebedürfnis meinem Autarkiestreben? In Abhängigkeit von einem Mann möchte ich auf keinen Fall geraten, das hat mir meine Mutter mit der blasslila Muttermilch der Emanzipation schon eingeflößt.

Noch ein Bereich ist anders, meine Stressverarbeitung hat sich um zwei Fünftel verbessert, ich bin damit jetzt tauglich fürs oberste Management. Mir fällt, über das neue Profil gesucht, ein Top-Geschäftsmann auf. Bestes Alter, bezeichnet sich als gutaussehend, liest das Richtige. Im Gegensatz zu mir ist er aber sehr distanziert: vier von fünf mögliche Punkten. Wie können wir mit einem derart eklatanten Missverhältnis zu 98 gemeinsamen MPs kommen? Was bei Autarkie/Versorgung als Gegensätze passend scheint, leuchtet mir hier nicht ein.

Ich suche weiter. Bei beiden Profilen steht ein Architekt oben in der Liste, mit dem ersten Profil liegen wir bei 92, mit dem zweiten bei 96 MPs. Auf der Skala "Dominanz/Unterordnung" liegt er im mittleren Bereich in Richtung Dominanz. "Dies bedeutet, dass er möglicherweise dazu neigt, sich nichts sagen zu lassen", klärt mich Matchhearts auf, dennoch könne er sich auch anpassen. Überraschend ist, dass unter "Gefühl und Kommunikation" unsere Kürvchen adrett übereinander liegen. Seit ich wieder sanfter geworden bin, scheinen wir besser zu passen.

Vergleiche ich die Partnervorschläge der beiden Personnality-Tests, bin ich irritiert. Vor allem Frauen, die viel Nähe suchen und die sich unterordnen, scheinen hier gefragt, die alten Reiz-Reaktionsschemata.

Wo bleibt Ihre Emanzipation, meine Herren? Wollt ihr immer noch in der sozialen Skala "nach unten lieben" und am besten das Weibchen dominieren? Oder bildet hier ein Fragebogen alte Rollenmuster ab?

Die nächsten Kandidaten

Jamal meldet sich mal wieder aus der Tiefe seiner Wanne. Er ist der einzige Mann, mit dem ich so über Sex so sprechen kann, dass ich was dabei lerne. Nicht, dass ich ein verruchtes Weib wäre, im Gegenteil, eher schüchtern, dafür phantasiebegabt. Und welche Frau kann sich schon mit einem Busenfreund mit Migrationshintergrund brüsten, mit dem sie über Onanie reden kann? Ich!

Mein Systemadministratorenfreund nennt sich selbst einen Spießbürger. Er hat acht Jahre Ehe mit einer Arzthelferin hinter sich, die nicht nur ihr Medizinstudium nicht fertigbekam, sondern von morgens bis abends rumgenörgelt hat, auch an ihm. Jamal ist sehr geduldig - und zog viel zu spät aus. Das war kurz nachdem sich mein Herzensmann als Schmerzensmann erwiesen hatte. Als wir nach fünf Monaten immer noch den jeweiligen Schätzchen hinterherflennen und alle um uns rum nur noch die Augen verdrehen, werden wir zur Zwei-Personen-Selbsthilfegruppe.

"Was macht der Herzensmatsch?" eröffnet Jamal sogleich das Wortgefecht. "Besser, als Du denkst!" Ich treffe mich gleich mit einem. Bernd, Anfang vierzig, Manager im Medienbereich. Sieht annehmbar aus, schreibt humorvolle Mails, das Herzchen pocht. Und ich verspreche nach erfolgter Inaugenscheinnahme einen Bericht vom Tatort.

Das Treffen verläuft gut. Bernd (98 MP) hat Esprit und Herzensbildung, hilft mir aus dem und in den Mantel, übersetzt Teile der Weinkarte. Der Abend ist kurzweilig. "Glaub ja nicht, dass du dich beim ersten Treffen verliebst, das kommt selten vor!", hatte mir Jamal noch mit auf den Weg gegeben. Und nun? Warum habe ich bei der Frage nach einem Wiedersehen gezögert? Ganz einfach: Bernd roch komisch. Vielleicht sind wir einander zu ähnlich - auf einer ganz anderen Ebene als der geistigen, nämlich der genetischen. Es heißt, dass Menschen, deren Erbinformationen sich gleichen, auch ähnlich röchen - und dass diese Nähe als unangenehm empfunden würde. Damit die Evolution voranschreitet, erleben wir Menschen, die weit von uns entfernt sind, olfaktorisch als besonders angenehm. Es war klar, auf einen Flirt an einer Bar wäre sicher kein Abendessen mit Bernd gefolgt.

Nun lässt sich das individuelle Aroma leider genausowenig als binäres Schema abbilden wie das jeweilige Beuteschema. Der Befriedigung meiner öberflächlichen Neugier dienen Fotos bei Matchhearts, die man nach einigen Mails freischaltet. Vorausgesetzt, das Objekt ist kenntlich.

Wie ein Konfirmandenfoto sieht Ulfs Bild aus (98 MP). Der Orchestermusiker ist Ende 30 und schreibt wunderbare Mails. Eine Woche lang tauschen wir uns über Musik und Kindheit aus. Er verführt mich zum Kauf seines Lieblingsbuchs. Ich verbringe einen Abend bei seinem Tee, den der Fahrradkurier bringt; dann liegt eine Konzertkarte im Briefkasten. Freitag sitze ich in der Philharmonie und weiß immer noch nicht, welches Instrument er spielt - einer von denen da unten im Graben ist ER. Dann kommt Samstag, der Tag des ersten Dates. Gegen Mittag schreibt er mir, dass er verheiratet sei - und die Ehe nach einer Krisenzeit nun doch fortgesetzt werde. Na prima, da begibt sich einer auf den Partnermarkt, flirtet an, was das Zeug hält, und beobachtet parallel, wie die werte Frau Gemahlin so reagiert.

Bruno (97 MP) zählt unter die Kategorie "Netter". Aber das war's auch schon. Wir gehen einen trinken, es ist, als würde ich einen alten Schulfreund wiedersehen. Wir quatschen den ganzen Abend, manchmal finde ich ihn eine Spur zu witzelsüchtig. (So stand unter "Bevorzugte Sportarten: Fettnapfreintreten). Als die Rechnung kommt, ist der Schnuckel pleite, egal. Zu kumpelig, kein Kerl für Tisch und Bett.

Ansgar belagert mich virtuell, irritiert mit Fröhlichkeit und täglichem Mail-Parlando zu diesem und jenem. Uns verbinden 99 Punkte, das scheint ihn ganz aus dem Häuschen zu bringen. Er liebe Berlin, sagt er, als Uni ist die TU vermerkt, er wolle bald in die Hauptstadt zurück. Jetzt wohnt der Ingenieur in der sächsisch-anhaltinischen Provinz, der Arbeit wegen. Dort hat er drei Kindelein gezeugt, sich mit dem Ehegespons zerstritten. Nach einigen Mails fragt er, ob ich mir einen Umzug nach Wohinbitteschön? vorstellen könne. Selbst Google fällt zu dem Kaff in den Bergen nicht viel ein. Dabei war von Anfang an klar, dass ich nur in Großstädten arbeiten kann. Soviel zu den (vorausgesetzten) Beschützt-und-Versorgtwerdenträumen moderner Frauen - und zur Lesefähigkeit der Männer.

Träume sind Schäume

"Wir wollen doch alle nur das eine. Endlich ankommen!", sagt Jamal und bittet um eine Pause. Ich höre, wie er unter Wasser blubbert und sich die Haare wäscht.

Ich habe in Spanien studiert. Mit der Zeit stört mich, dass ich bei Matchhearts nicht auch nach Sprachenkenntnissen suchen kann. Denn einer meiner Chefs erwägt, mit mir eine Filiale in Madrid aufzubauen, wobei wir nur monatsweise dort sein wollen. Einen Freiberufler könnte ich auch mal mitnehmen, vorausgesetzt, er spricht die Landessprache. Denn das war neben der Hektik der ein wichtiges Manko meines verflossenen Süßen: Er spricht kein Wort Spanisch. Seine Hauptsorgen galten aber meinen unregelmäßigen Einkünften. Die ansonsten entscheidungsschwache Exine, unfreiwillig Hausfrau, da buridansch zwischen Berufsalternativen verschmachtet, hatte ihm mit anwaltlicher Hilfe derart akkurat das Fell über die Ohren gezogen, dass er immer wieder sagte: "Ein zweites Scheitern kann ich mir wirtschaftlich nicht leisten!" Dann ging er; es war wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

"Wir sind anspruchsvoller als unsere Altvorderen", meldet sich Jamal zurück. "Alle reden ständig über die ideale Beziehung, das Thema ist überfrachtet. Dabei haben wir gar keine Zeit mehr für die Liebe. Früher war vieles einfacher. Jobs waren sicher, und überhaupt: die Arbeit war nicht auch noch in der Freizeit Thema Nummer eins."

Ja, Jamal, lass uns in die Zeitmaschine steigen. "Geh du voran!", sagt er, und fügt recht uncharmant hinzu: "... späte thirty something, Frauen wie du sind Kassengift in Partnerbörsen, oder? Euch ist doch der Kinderwunsch in Leuchtbuchstaben auf die Stirn geschrieben!" Ja, das Ticken des Bioweckers übertönt aus der Ferne noch den lautesten Computerlüfter. Wenn im Profil noch steht: "Keine Kinder" ist es ganz schlimm. Wohlweislich haben viele Singlebörsen die Optionen "kinderlieb" und "will später Kinder" aus dem Formular gestrichen. "Die weniger Gebildeten machen es oft besser", sagt Jamal. "Die vögeln nett, kriegen ihre Kinder und basta. Warum müssen wir Akademies denn alles so verkomplizieren?"

Je mehr wir wissen, desto mehr mögliche Probleme fallen uns eben ein. Und das Suchen wird komplizierter. IHN im Netz zu finden hab ich abgeschrieben. Bin ich ein Einzelfall? Ich frage in meiner Newsgroup nach, wir haben da eine Rubrik "Teeküche" für Privates. Anne aus Heidelberg schreibt, sie habe gute Erfahrungen mit einer Internet-Partnerbörse gemacht. "Das 'Ergebnis' meines Engagements dort hat mir grad einen Kaffee gekocht, wir sind seit zwei Jahren zusammen." Und wie lange hat's gedauert, Anne? "Es war der dritte Kontakt. Ich denke, wir haben großes Glück gehabt!"

Jetzt geh ich mich erstmal aufrüschen: Boutique, Frisör und Tralala. Dann fahr ich in den Urlaub. Mit wem? Wird nicht verraten.

(Natürlich wurde das hier handelnde dramatische Personal wie in solchen Situationen üblich verfremdet.)

Und hier noch Superman und Froschmann - schön unscharf, direkt von der Kuppelwebseite:

Mittwoch, 6. Dezember 2006

Heute!

Mittwoch, 20.Uhr, Friedelstraße 54

Stadtsoziologe Andrej Holm spricht über "Ghettochic und linke Trendsetter: Gentrification in Neukölln?"

Sonntag, 3. Dezember 2006

Pardon!

Zwei Franzosen laufen einander über den Weg. Sagt der eine: "Pardon!", sagt der andere: "Pardon!"

Was ist hier los? Zunächst müssen Sie wissen, dass wir in einem schmalen Treppenhaus sind oder an einem anderen nicht sehr geräumigen Ort. Der eine lässt den anderen vorbei und entschuldigt sich dabei für die Unbequemlichkeit, die er durch seine physische Anwesenheit unglücklicherweise dem anderen bereiten muss, dem er in die Quere gekommen ist. In Städten wie Paris, wo besonders viele Menschen auf engem Raum leben, ist das noch leichter verständlich. Hier ist jeder Moment des Alleinseins eine Ausnahme, deren Unterbrechung scheint schon mal eine Entschuldigung wert. So mutet es nur für Ausländer komisch an, dass sich alle Franzosen, auch die aus der Provinz, anstatt einander freundlich einen guten Tag zu wünschen, wie es alle gesitteten Völker dieser Erde tun, möglichst leise für ihre Gegenwart entschuldigen. Vorausgesetzt natürlich, sie kennen sich nicht.

Aber auch Franzosen entdecken in Deutschland Merkwürdiges. Zwei Deutsche laufen einander über den Weg. Sagt der eine: "Mahlzeit!", sagt der andere, "Mahlzeit!"

Was ist hier los? Zunächst müssen Sie wissen, dass der Vormittag schon fortgeschritten ist, die Uhr zeigt mindestens halb zwölf. Und wahrscheinlich ist der Tag ein Werktag, das heißt, unsere Probanden begegnen einander auf dem Flur eines Unternehmens oder auf dem Weg in Restaurant und Kantine. Die beiden Menschen sind der lebende Beweis dafür, dass in Deutschland der Tag beizeiten beginnt. Je tiefer man in Verwaltung und Fabrik hineinkommt, je tiefer wir in den Osten gelangen, desto früher beginnt der Arbeitstag. Wenn die Sonne im Zenith steht, verlangt der deutsche Magen nach kräftigem Essen. Und man wünscht sich "Gesegnete Mahlzeit!", nur dass eben das "gesegnet" mit der Zeit verloren gegangen ist.

Um nachzuspüren, wie das auf Menschen anderer Länder wirkt, genügt es, das "Mahlzeit" einfach in eine andere Sprache zu übersetzen. Stellen Sie sich mal zwei Briten vor, die einander mit ernstem Gesicht ein "Meal!" zuraunen - ist doch komisch, oder?